Fanfic: Powerschoolexplosion

Chapter: Powerschoolexplosion

Powerschoolexplosion




Zerren und stoßen«, sagte die alte Frau, »so macht es die Imperatrix,


genau wie die Götter.« Sie beugte sich zur Seite und spuckte aus,


führte dann ein schmutziges Tuch an ihre runzligen Lippen. »Drei Ehemänner


und zwei Söhne hab ich in den Krieg ziehen sehen.«


Mit glänzenden Augen verfolgte das Fischermädchen, wie die Kolonne


berittener Soldaten vorbeidonnerte; sie hörte nur halb auf das, was


die Alte neben ihr sagte. Ihre Atemzüge passten sich dem Rhythmus


an, in dem die prächtigen Pferde vorbeistampften. Sie spürte, wie


ihr Gesicht heiß wurde, und sie wusste, dass das nichts mit der Hitze


zu tun hatte. Der Tag neigte sich dem Ende entgegen, und die Sonne


war nur noch ein verwaschener roter Fleck über den Bäumen zu ihrer


Rechten. Die Meeresbrise, die ihr entgegenwehte, war kühl geworden.


»Das war zur Zeit des Imperators«, fuhr die alte Vettel fort. »Möge


der Vermummte die Seele des elenden Bastards am Spieß rösten. Aber


sieh mal, Schätzchen, Laseen verstreut Knochen in alle Winde. Hah,


immerhin hat sie mit seinen angefangen, was?«


Das Fischermädchen nickte schwach. Wie es sich für die Niedriggeborenen


schickte, warteten sie am Straßenrand – die alte Frau mit einem Sack


Rüben beladen, während das Mädchen einen schweren Korb auf dem Kopf


balancierte. Etwa jede Minute wechselte die Alte den groben Sack von


einer knochigen Schulter auf die andere. Eingekeilt zwischen den Reitern


vor ihnen und einem Graben, der hinter ihnen steil zu den Felsen abfiel,


hatte sie keinen Platz, den Sack abzusetzen.


»Sie verstreut Knochen, hab ich gesagt. Die Knochen von Ehemännern,


die Knochen von Söhnen, die Knochen von Frauen und die Knochen von


Töchtern. Für sie sind sie alle gleich. Für das Imperium sind sie


alle gleich.« Die alte Frau spuckte ein zweites Mal aus. »Drei Ehemänner


und zwei Söhne. Pro Kopf zehn Münzen im Jahr. Fünf mal zehn macht


fünfzig. Fünfzig Münzen im Jahr, und dafür immer allein. Im Winter


allein und im Bett allein.«


Das Fischermädchen wischte sich den Staub von der Stirn. Der Blick


aus ihren hellen Augen huschte von einem Soldaten zum anderen, während


sie vor ihr vorbeizogen. Die jungen Männer in ihren hochgezogenen


Sätteln hatten ernste Gesichter und blickten ungerührt nach vorn.


Die wenigen Frauen, die sich zwischen ihnen befanden, waren groß und


wirkten irgendwie wilder als die Männer. Der Sonnenuntergang ließ


die Helme rot aufblitzen, so dass die Augen des Mädchens zu brennen


begannen und alles vor ihrem Blick verschwamm.


»Du bist die Tochter des Fischers«, sagte die alte Frau. »Ich hab dich


schon öfter gesehen, auf der Straße oder unten am Strand. Und zusammen


mit deinem Vater auf dem Markt. Er hat nur noch einen Arm, stimmt`s?


Noch mehr Knochen für ihre Sammlung, was?« Sie machte eine hackende


Bewegung mit einer Hand und nickte. »Ich wohne in dem ersten Haus,


da vorn am Weg. Von den Münzen kauf ich mir Kerzen. Jede Nacht zünde


ich fünf Kerzen an – fünf Kerzen, damit die alte Rigga nicht so allein


ist. Es ist ein müdes altes Haus, Schätzchen, voll mit müden alten


Sachen. Ich gehör auch dazu. Was hast du da in deinem Korb?«


Nur allmählich begriff das Fischermädchen, dass ihr eine Frage gestellt


worden war. Sie wandte ihren Blick von den Soldaten ab und lächelte


auf die alte Frau hinunter. »Es tut mir Leid«, sagte sie, »die Pferde


sind so laut.«


»Ich hab dich gefragt, was du in deinem Korb hast, Schätzchen«, wiederholte


Rigga ihre Frage diesmal lauter.


»Garn. Genug für drei Netze. Eins müssen wir bis morgen fertigkriegen.


Papa hat das Letzte verloren – irgendwas im Wasser hat es mit dem


ganzen Fang in die Tiefe gezogen. Ilgrand Lender will das Geld zurückhaben,


das er uns geliehen hat, deshalb müssen wir morgen unbedingt einen


Fang machen. Einen guten Fang.« Sie lächelte erneut und ließ ihren


Blick wieder zu den Soldaten wandern. »Ist das nicht wunderbar?«


Mit einer blitzschnellen Bewegung hatte Rigga das Mädchen an den dichten


schwarzen Haaren gepackt und zerrte kräftig daran.


Das Mädchen schrie auf. Der Korb auf ihrem Kopf begann zu wackeln,


rutschte auf eine Schulter hinab. Sie griff hastig danach, doch er


war zu schwer. Der Korb fiel zu Boden und brach auseinander. »Aah!«,


japste das Mädchen und versuchte sich hinzuknien. Aber Rigga riss


sie an den Haaren zu sich herum.


»Du hörst mir jetzt mal zu, Schätzchen!« Der saure Atem der alten Frau


schlug dem Mädchen ins Gesicht. »Das Imperium unterdrückt dieses Land


jetzt schon seit hundert Jahren. Du bist in dieser Zeit geboren worden,


ich nicht. Als ich in deinem Alter war, ist Itko Kan noch ein eigenes


Land gewesen. Wir haben eine Flagge gehabt – unsere eigene Flagge.


Wir sind frei gewesen, Schätzchen.«


Dem Mädchen wurde schlecht von Riggas Atem. Sie kniff die Augen zu.


»Das ist die Wahrheit. Vergiss das nie, sonst wird dich der Schein


der Lügen für immer blenden.« Riggas Stimme hatte einen leiernden


Tonfall angenommen, und augenblicklich erstarrte das Mädchen. Rigga.


Riggalai, die Seherin. Die Wachshexe, die Seelen in Kerzen schloss


und verbrannte. Seelen, die von Flammen verzehrt wurden … Riggas Worte


klangen wie eine Prophezeiung und ließen das Mädchen frösteln. »Vergiss


das nie. Ich bin die Letzte, die zu dir spricht. Du bist die Letzte,


die mich hört. So sind wir verbunden, du und ich, was auch immer geschieht.«


Riggas Finger krallten sich fester in das Haar des Mädchens. »Jenseits


des Meeres hat die Imperatrix ihr Messer in jungfräulichen Boden getrieben.


Bald wird es eine Flut aus Blut geben, und du wirst mitgerissen werden


und ertrinken, wenn du nicht vorsichtig bist. Sie werden dir ein schönes


Pferd geben, dir ein Schwert in die Hand drücken und dich übers Meer


schicken. Aber deine Seele wird von einem Schatten umarmt werden.


Hör zu! Du musst dies tief in deinem Innern vergraben! Rigga wird


dich schützen, denn wir zwei sind verbunden. Aber mehr kann ich nicht


tun, verstehst du? Achte auf den Lord, den die Dunkelheit hervorgebracht


hat, denn es ist seine Hand, die dich befreien wird, auch wenn er


es nicht weiß …«


»Was ist da los?«, bellte eine Stimme.


Rigga wandte ihr Gesicht der Straße zu. Ein Vorreiter hatte sein Pferd


gezügelt. Die Seherin ließ die Haare des Mädchens los.


Das Mädchen stolperte einen Schritt zurück. Sie rutschte auf einem


Stein aus und fiel hin. Als sie wieder aufsah, war der Vorreiter bereits


weitergeritten. Ein anderer donnerte heran.


»Lass die hübsche Kleine in Ruhe, alte Hexe«, knurrte er. Er kam noch


näher heran, lehnte sich aus dem Sattel und holte mit der flachen


Hand aus. Der eisenbeschlagene Handschuh krachte gegen Riggas Kopf,


und die Wucht des Schlages riss sie herum. Sie stürzte.


Das Fischermädchen schrie auf, als Rigga hart auf ihren Oberschenkeln


landete. Blut und Speichel spritzten ihr ins Gesicht. Wimmernd wich


das Mädchen über das Geröll zurück, schob die alte Frau dann mit den


Füßen von sich. Sie kniete sich hin.


Irgendetwas von Riggas Prophezeiung schien sich im Kopf des Mädchens


festgesetzt zu haben, schwer wie ein Stein und im Dunkel verborgen.


Sie stellte fest, dass sie kein einziges Wort von dem, was die Seherin


gesagt hatte, wiederholen konnte. Sie streckte sich und griff nach


Riggas Wollschal. Vorsichtig drehte sie die alte Frau auf den Rücken.


Eine Seite von Riggas Kopf war blutverschmiert; die rote Flüssigkeit


rann jetzt hinter ihrem Ohr hinunter. Auch ihr faltiges Kinn war voller


Blut, genau wie ihr Mund. Ihre Augen starrten blicklos ins Leere.


Das Fischermädchen wich zurück; sie bekam keine Luft mehr. Verzweifelt


blickte sie sich um. Die Kolonne war vorbeigezogen, hatte nichts als


Staub und leiser werdendes Hufgetrappel zurückgelassen. Riggas Sack


war auf die Straße gerollt. Zwischen den zertrampelten Rüben lagen


fünf Talgkerzen. Das Mädchen atmete tief die staubige Luft ein. Dann


wischte sie sich die Nase ab und sah dabei hinunter auf ihren Korb.


»Vergiss die Kerzen«, murmelte sie mit schwerer, eigenartiger Stimme.


»Sie sind sowieso hin. Verstreut wie die Knochen. Was soll`s.« Sie


kroch auf die Garnknäuel zu, die aus dem zerbrochenen Korb gefallen


waren, und als sie dann wieder sprach, klang ihre Stimme jung und


normal. »Wir brauchen das Garn. Wir werden die ganze Nacht arbeiten


und ein Netz knüpfen. Papa wartet auf mich. Er steht schon an der


Tür und schaut, ob er mich sehen kann.«


Sie verstummte. Ein Schaudern durchlief ihren Körper. Das Sonnenlicht


war fast völlig verschwunden. Eine für diese Jahreszeit ungewöhnliche


Kälte entströmte den Schatten, die jetzt wie Wasser über die Straße


flossen.


»Jetzt ist es also so weit«, sagte das Mädchen leise und krächzend


mit einer Stimme, die nicht ihre eigene war.


Eine weich behandschuhte Hand legte sich auf ihre Schulter. Sie duckte


sich, kauerte sich hin.


»Ruhig, Mädchen«, sagte die Stimme eines Mannes. »Es ist vorbei. Für


sie kann man nichts mehr tun.«


Das Fischermädchen
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