Dreamland
Die Stadt rächt sich.
Die warme Luft streichelte und liebkoste die Dächer und Wände der Häuser und für einen kurzen Moment schien die graue Stadt zu glühen, als wenn sie sagen wolle:"Komm doch her, zu mir...!" Der Wind drang tief in die Häuser hinein, jagte durch die Räume und schüttelte die Fenster, wobei er leise, heulende Stimmen sang. Mit dieser Ausnahme lag Stille auf der Stadt.
Und doch schienen die Windstöße jetzt kräftiger zu werden, ausgeprägter. Ein paar Fensterscheiben knacksten und barsten schließlich unter dem Druck.
Immer mehr Fenster zerplatzten, es herrschte ein aussichtsloser Krieg zwischen den Gläsern. Langsam kam Bewegung in die Stadt, Türen schwangen auf und zu, manche lösten sich völlig aus ihren Angeln. Und unter den Lärm, den die Stadt nun von sich gab, mischten sich Stimmen. Sie wisperten und waren doch laut... Sie waren hörbar und doch nicht verständlich. Sie klangen tief und doch rein. Und dennoch verhießen sie nichts gutes. Sie waren durchdrungen von böser Energie, die mit jeder Sekunde anzuschwellen schien und drückten sich in einer fremden Sprache aus, die keiner zu verstehen vermochte. Es waren fremde Stimmen, abnormale Stimmen, kranke Stimmen.
Sie klangen wie von einer Fremden Welt- einer Welt, die noch nie zuvor ein Mensch betreten hatte. Vielleicht kamen sie aus der Hölle... vielleicht kamen sie aus aus einen Traum, der sich formatiert hatte. Vielleicht waren sie auch nur eine Illusion, eine Einbildung, ein Gedanke. Ein Gedanke der Stadt. Die Stadt lebt. Sie lebte und war zugleich wie tot. Wenn dort noch jemand wohnte, so zeigte er sich nicht und machte sich auch in keiner anderen Form bemerkbar. An vielen Fenstern hingen noch Gardienen- nur jetzt durch die Scherben zerfetzt und aufgeschlitzt. Es gab sogar ein Casino, dessen Schriftzug an der Eingangstür noch leuchtete und zumindest einen kleinen Teil der Stadt in ein Regenbogenparadies verwandelte. In anderen Teilen der Stadt sah es wieder anders aus. Die Büsche, die manche Eingangstüren von Häusern säumten, waren abgestorben und verdorrt. Manche waren mit einen seltsamen Niesel überzogen, der aussah wie Kirschsaft, bloß etwas dicker und dunkler. Die Stimmen wurden lauter und schraubten sich fast bis ins Abstrakte. Wenn man der Straße folgte, die nordwestlich verlief, konnte man auch dort den seltsamen Saft erkennen, der über den Asphalt suppte, wie Schleim. Er verteilte sich über die gesamte Breite und Länge der Straße und je weiter man ihn verfolgte, umso dicker wurde er. Am Ende der Straße lag einer der drei Ausgänge der Stadt. Nur- der war nicht mehr zu sehen. Eine riesige Mauer versperrte den Weg. Die Stimmen wisperten weiter und schwappten für einen kurzen Moment hoch, sodass die folgende Stille der Stadt nur noch vollkommender war. Langsam senkte sich die Dunkelheit über die Landschaft und tauchte alles in einen schwarzen Schleier, doch die Umrisse und Strukturen der Mauer wurden dadurch auf seltsame Art und Weise nur noch mehr ins Licht gedrängt und entblößten den Schrecken, mit den sie verbunden waren. Ab dieser Stelle begann die Stadt in seiner melanchonisch-grauen Melodie seltsam zu schwanken. Der fahle Kellergeruch, der bis vor Kurzem noch an der Stadt gehangen hatte, wurde nun von etwas anderen überdeckt- etwas, Abartiges, Süßliches, dass wage an Metall erinnerte. Und nun wurden die Konturen der Mauer von etwas verdeckt, das dort wohlmöglich schon die ganze Zeit hing, aber doch nicht auffällig genug war, um einen Blick daran zu verschwenden. Der widerliche Geruch war nun so vollkommen, dass es einen die Nahrung wieder nach außen trieb.
Die Leiche hatte kein Herz mehr- vermutlich mit bloßer Hand herausgerissen und in die letzte Ecke geworfen, die ein totes Tier, dessen Fell man abgezogen hatte und nun nicht mehr brauchte. Der Oberkörper war verstümmelt, markante Teile lagen auf dem Boden zerstreut, darunter auch einige Rippenknochen und das Brustbein. Die restlichen Organe waren ebenfalls entnommen und mit Nägeln an der Wand festgeschlagen worden. Das Schauspiel war schrecklich, wie die Stadt selbst. Unbegreiflich und doch real. Ein Albtraum und doch im wahren Leben verankert. Man konnte nicht einfach die Augen verschließen, darauf warten, dass man aufwachen und einfach ganz normal weiterleben konnte, ohne einen Gedanken daran zu verschwenden, was sich jetzt in dieser Stadt abspielte. Nicht, wenn man in ihr gefangen war...
Unter der Leiche stand etwas. Es war mit Blut geschrieben, ziemlich schmierig und dennoch so schlicht gehalten, dass es übersehbar war und erst auf den zweiten Blick ins Auge stach.
Dreamland