Fanfic: Nur ein Tag...
Chapter: Ohne dich
Act II: Ohne Dich
Panisch schreckte ich zurück. Er hat... was?? Nicht willens, meinen Ohren zu
trauen, verfolgte ich fassungslos weiter den Dialog zwischen Ukyo und Ranma.
Langsam und ungläubig schüttelte sie ihren Kopf, als sich ihre Augen
angsterfüllt weiteten. "Nein...", flüsterte sie. "Ran-chan... Du hast doch nicht
wirklich... Das..... bringt dir doch...." Ukyos Stimme erstickte in einem
Schluchzer.
"Hör auf zu heulen", forderte Ranma verständnislos. "Sie hatte es nicht anders
verdient. Ich war sogar noch zu nett zu ihr."
"Ranma!" rief Ukyo jetzt aus und hielt in ihren zusammengekniffenen Augen die
Tränen zurück. "Glaubst du allen Ernstes, das ist es, was..."
In einer schnellen Bewegung befand sich Ranma plötzlich direkt vor ihr und
presste ihr fest seine zitternde Hand auf den Mund, während er seine andere zu
einer bebenden Faust ballte.
Ohne zu ihr auf zu blicken sprach er langsam, ganz langsam.
"Wage-es-nicht-weiterzusprechen..." Sein fransiger Pony fiel ihm ins Gesicht und
verbarg seine Augen. Nur das Knacken seiner Gelenke durchschnitt die nun
aufgekommene unheimliche Totenstille.
Fassungslos drehte ich mich von ihnen weg und lehnte mich steif gegen die Wand.
`Was geht da bloß vor sich?` fragte ich mich verwirrt. Unmöglich, dass Ranma zu
einem Mord imstande wäre. Oft hatte er bis zur Ohnmacht seines Gegners gekämpft,
nicht selten war er unsensibel und rücksichtslos, aber nie... NIE erlebte ich
ihn so eiskalt wie an jenem Tag. Nie, das hätte ich zuvor schwören können, hätte
er jemanden ermorden können. Nie hätte er es so reuelos ausgesprochen.
Die Welt um mich herum begann sich zu drehen. Zu viel, das war einfach zu viel
auf einmal. Irgendetwas war da noch. Irgendetwas. Tief in mir wusste ich es,
spürte es. Doch ich konnte diese so gut versteckte Erinnerung nicht wieder
hervorrufen. Etwas fehlte in diesem ganzen, riesigen Chaos. Ein Puzzleteil.
Etwas, das mir erklärte, warum alles so anders war an diesem merkwürdigen,
dusteren Tag. Ranma ein Mörder? Das konnte nicht wahr sein. Aber dennoch war es
das, was er soeben gesagt hatte. Ich selbst hatte es gehört. Immer mehr Fragen
drangen in meinen Kopf. So viele bis mein Verstand irgendwann nachließ und es
auf einmal ganz dunkel wurde.
Es kam mir vor, als sei nur eine Sekunde vergangen, doch als ich meine Augen
wieder öffnete, war es bereits Nacht. Der Regen hatte sich gelegt und nun war
nur noch das laute Heulen des Windes durch die dünnen Hauswände zu vernehmen.
Warum hatte mich keiner geweckt? Benommen tappte ich durch den unbeleuchteten
Flur. Mein Kopf fühlte sich so leer an. Was hatte Ranma als letztes gesagt?
Richtig, er hatte Shampoo umgebracht. Angestrengt überlegte ich: War das alles
wirklich geschehen? Oder war ich gerade aufgewacht aus einem langen,
schrecklichen Albtraum?
Auf einmal wurde ich durch ein lautes Geräusch in die Gegenwart zurückgerufen.
`Was ist das?` wunderte ich mich erschrocken und folgte instinktiv dem lauten,
schmerzerfüllten Heulen, das wie eine warnende Sirene an mein Ohr drang. Immer
schneller bewegte ich mich auf die Quelle des fürchterlichen Geräusches zu, fuhr
die Treppe hinunter, durch den dunklen Teeraum, über die Terrasse, durch den
Garten und machte schließlich, als ich gefunden hatte, wonach ich suchte, Halt
im Dojo. Es brannte kein Licht und doch befand sich jemand darin. Unsicher
näherte ich mich dieser Person und erkannte aus einem Abstand von wenigen Metern
in dem schwachen Licht, das der Mond hineinwarf, meinen Vater. Mit dem Gesicht
zur Wand gerichtet hockte er zusammengerollt in einer Ecke und weinte.
"Warum? WARUM??" schrie er ins Nichts. Seine Tränen tropften auf den hölzernen
Boden, während sein Körper sich in einem monotonen Rhythmus auf- und abwog.
"A-aber Paps..." flüsterte ich und verspürte den Wunsch, ihn fest in den Arm zu
nehmen, so wie ich es zuletzt als Kind getan hatte. Doch etwas in mir sträubte
sich. Wie erstarrt schaute ich ihn an und konnte mich einfach nicht bewegen.
"So jung... Sie war doch noch so jung, Kami-sama. Warum musste sie auf so
grausame Art und Weise sterben?!"
Hart durchzuckte es mich. Erst ganz langsam, aber immer schneller und heftiger
schüttelte ich meinen Kopf. Es war also tatsächlich wahr. Shampoo war wirklich
tot. Ranma, mein Ranma war ein Mörder. Der Ranma, der mir so oft das Leben
gerettet hatte. Der Ranma, der sich um das Wohl einer kleinen Puppe gesorgt
hatte. Der Ranma, der selbst seinen schlimmsten Feinden in Notsituationen immer
geholfen hatte. Der Ranma, der mir dann und wann mal sein so liebevolles Lächeln
schenkte, das mir zeigte, dass ich ihm nicht egal bin. Wieder begann sich alles
zu drehen. Die Wände um mich herum verformten sich, verflüssigten sich, flossen
zusammen mit dem Boden, der Decke, dem Schrein, dem Altar und verschmolzen in
ein einziges tiefes Schwarz..
Doch plötzlich fuhr ich hoch und die Formen festigten sich schlagartig wieder.
`Seit wann hatte Paps eine so gute Beziehung zu Shampoo?` schoss es mir durch
den Kopf. Nur ein mal zuvor hatte ich ihn so hart weinen sehen. Das war als
meine Mutter gestorben war. Wie konnte man den Tod einer praktisch fremden
Person, die ständig nur Unheil ins Haus brachte, mit dem seiner eigenen
geliebten Ehefrau gleichstellen? Irgendwie hatte ich das Gefühl, einen wichtigen
Aspekt bisher außer Acht gelassen zu haben. Aber mir wollte partout nicht
einfallen, was es war. Plötzlich war ich traurig, tieftraurig und verließ still
den Dojo, nachdem das Weinen meines Vaters langsam und allmählich erlosch und
nur noch ein dumpfes Geräusch zu hören war, als er immer und immer wieder mit
seinem Kopf winselnd an die Wand schlug.
Melancholisch streifte ich zurück ins Haus. Der starke Nachtwind wehte mir laut
um die Ohren und doch fror ich nicht. Erst als ich ins Teezimmer trat erkannte
ich zwei vertraute Stimmen, die aus der Küche drangen.
"Ranma verhält sich sehr seltsam", hörte ich Kasumi besorgt sagen, doch aus
irgendeinem Grund vermisste ich ein Fünkchen mehr Mitgefühl in ihrem Ton, so wie
ich es sonst von ihr gewohnt gewesen war.
"Was macht er eigentlich immer noch hier in diesem Haus?" fragte Nabiki kalt,
ohne auf Kasumis letzten Satz einzugehen. "Es ist doch nur seine Schuld. Hätte
er sie richtig beschützt, dann..."
"Nabiki", fiel unsere ältere Schwester ihr tadelnd ins Wort, doch sie sprach
weiter.
"Er will uns ja nicht einmal sagen, womit er so abgelenkt war. Wer weiß was...
Aber was auch immer es war, es ist dafür verantwortlich zu machen, dass ein
junges, hübsches Mädchen nicht mehr den nächsten Frühling erlebt... gar nichts
mehr."
Schluckend lauschte ich dem Dialog. Er hatte sie nicht richtig beschützen
können, sagte Nabiki. Also brachte Ranma Shampoo nicht vorsätzlich um. Es war
alles bloß ein Unfall... von welcher Art auch immer. Wie konnte Nabiki nur so
grausam sein und es Ranma vorenthalten? Und das, wo sie Shampoo doch noch nie
ausstehen konnte. Scheinbar hatte sie es ihm so deutlich ins Gesicht gesagt,
dass er selbst schon glaubte, ein Mörder zu sein. Armer Ranma...
Plötzlich zuckte ich zusammen. Aus der Küche vernahm ich das laute Klirren von
zersplitterndem Glas. Erschrocken lief ich zu meinen beiden Schwestern und
stoppte abrupt im Türrahmen.
"So ein Mist. SO EIN VERFLUCHTER MIST!!" fluchte Nabiki laut heraus und sank auf
die Knie. "Sie kann doch nicht so... so einfach...."
Kasumi schaute einen langen Augenblick mit erschöpftem Ausdruck zu ihr hinab.
Nervös wischte sie sich mit dem Handrücken über die Stirn und holte dann
zögerlich, aber genauso gierig aus der Tasche ihrer Schürze ein Päckchen
Zigaretten heraus. Ich konnte meinen Augen nicht trauen. Lediglich ein heiseres
Krächzen brachte ich hervor, als ich sah, wie sie sich plötzlich eine Zigarette
anzündete und dann den Qualm in inniger Befriedigung tief inhalierte. Erst nach
drei hektischen Zügen beugte sich unentschlossen zu Nabiki hinunter, um ihr die
Arme um den zitternden Körper zu legen. "Pshhh.... meine Arme Kleine...."
beruhigte sie sie, und nahm über ihre Schulter hinweg einen weiteren Zug.
Ergriffen öffnete ich meinen Mund und wollte etwas sagen, doch ich konnte nicht.
Was sollte ich daraufhin schon entgegnen? Wann hatte ich Nabiki zuletzt weinen
gesehen? Nabiki war immer so gelassen und stark. Und Kasumi war sehr beherrscht
und außerdem stets darauf bedacht, ihre Mitmenschen mit einem Lächeln zu
beglücken. Und hier sah ich sie schließlich, ihr Teint war leichenblass, tiefe
Augenringe verdunkelten ihr Gesicht und... sie rauchte?!
Einen Moment lang blieb ich noch stehen und starrte sie ungläubig an, wie sie
sich nun gegenseitig hielten und weinten, ehe ich mich entgeistert entschied,
sie mit ihrem Kummer alleine zu lassen. War ich tatsächlich so eine gefühllose
Person? Jedem in diesem Haus ging der Tod scheinbar unwahrscheinlich nah, doch
alles, was in mir vorging, war der Schock, dass Ranma von sich selbst sagte, ein
Mörder zu sein. Zu viele verrückte Dinge waren geschehen. Und das an nur einem
einzigen Tag. Wie spät war es eigentlich? Ich hatte keine Ahnung. Aber ich war
müde, sehr müde vom vielen Nachdenken. Müde von dem Gefühl, dass ich trotz allem
noch etwas übersehen hatte. Etwas sehr Wichtiges sogar. Leise begab ich mich ins
Obergeschoss und bemerkte so gedankenverloren, wie ich war, erst als ich bereits
in mein dusteres Zimmer getreten war, das tiefe, aber ruhige Atmen, das von
meinem Bett aus hervorging.
"Wer ist da?" rief ich erschrocken. Keine Antwort. Hektisch tappte ich nach dem
Lichtschalter, doch ich war zu