Fanfic: Doppelleben - Kapitel 13 - Teil 2

hier habt ihr die Schriftrolle.?

Alexandra fing vor Freude und Erleichterung an zu weinen und nahm den mittleren Teil der Schriftrolle entgegen. Lars war mittlerweile aufgestanden und umarmte sie daraufhin heftig. Dann wandte er sich, einen Arm noch um Alexandra gelegt, dem alten Mann zu.

?Sollte die Sanduhr sie jetzt nicht eigentlich umbringen??, fragte er stirnrunzelnd. Der Alte lachte. ?Das war nur eine kleine Lüge, um es ein bisschen spannender zu machen!?, zwinkerte er den Geschwistern zu. Auf die Worte hin kamen nur ein lautes Krachen und viel Staub aus deren Richtung.

Lars rappelte sich wieder auf und wischte sich den Staub von der Kleidung. ?Nun, trotzdem, ähh, vielen Dank!? Während neben ihm auch Alexandra wieder auf die Beine kam, dachte Lars verwirrt: ?Jetzt fange ich auch schon mit diesem ?nun? an!?

?Nun denn?, sprach der alte Mann, woraufhin Lars zusammenzuckte, ?soviel Spaß hatte ich schon seit langer Zeit nicht mehr, ich habe daher ebenfalls zu danken. Nun gehet denn hin im Namen des Happosai? ? Lars und Alexandra zogen jeweils eine Augenbraue hoch und sahen sich an ? ?und holt euch den letzten Teil der Schriftrolle, verdammt noch mal!? Er grinste sie breit und faltig an.

?Ja, ähm, das hatten wir vor.?, meinte Alexandra. ?Auf Wiedersehen!?, rief Lars, als er sich bückte, um die Hütte zu verlassen. ?Nun, das bezweifle ich zwar, aber es ist durchaus wünschenswert. Insofern wünsche auch ich euch auf Wiedersehen!? Alexandra winkte dem alten Mann ein letztes Mal zu und folgte Lars dann an das Tageslicht. Die Abendsonne stand tief, trotzdem hielt Alexandra geblendet die Hand vor die Augen.

Als sie sie wieder senkte, sah sie Lars, der schon wieder in die Landkarte vertieft war. Als Alexandra näher trat, sah er auf und meinte: ?Lass uns noch ein Stückchen Weg hinter uns bringen und dann unser Nachtlager aufschlagen.?

Alexandra nickte ihrem Bruder zu und ergriff dann mit zwielichtigen Gefühlen seine Hand. Einerseits war sie froh, dass sie bereits zwei Teile der Schriftrolle ergattert hatten, andererseits fürchtete sie sich vor der ihnen noch bevorstehenden Aufgabe.



Nabiki Tendo wusste nicht, wo ihr der Kopf stand. Seitdem dieser Junge in ihr Leben getreten war, hatte sich alles verändert. Nichts war mehr, wie es vorher war. Dachte sie jedenfalls. Denn sie war ein Mensch. Und Menschen haben die Angewohnheit, egozentrisch zu denken. Am deutlichsten ist es bei Kindern, doch mit den Jahren lernen die Menschen, ihr egozentrisches Denken zu verhüllen. Einigen gelingt dies mehr, anderen weniger.

Und so dachte Nabiki Tendo nicht daran, dass die Vögel immer noch zwitscherten, die Regenrinne immer noch leckte und ihr Vater immer noch einen mindestens genauso dummen Freund hatte, wie er es selber war.

Aus diesem Irrtum heraus beschloss Nabiki, wieder Ordnung in ihr Leben zu bringen, wobei dies ein völlig unmögliches Ziel war. Denn es gibt keine Ordnung im Leben, es sei denn, man glaubt an das vorherbestimmte Schicksal. Doch selbst dann kann man nur von Ordnung in dem Sinne reden, als dass alle vorherbestimmten Ereignisse, die auf ein vorherbestimmtes Ziel zulaufen, in ihrer vorherbestimmten Reihenfolge ablaufen.

Es ist aber nicht möglich, sein Leben bis ins letzte Detail zu ordnen und vorzuplanen, wie man es vielleicht mit Aktenordnern macht. Viel zu vieles ist ungewiss, viel zu vieles obliegt dem Zufall.

Trotzdem hatte Nabiki einen Entschluss gefasst, den sie zuerst überwiegend aus Reue heraus beschlossen hatte. Doch irgendwo im Unterbewusstsein wusste sie bereits, dass dies von Anfang an richtig gewesen wäre und dass sie dies eigentlich von Anfang an gewollt hatte.

Aber sie war viel zu verwirrt und verstört gewesen, hatte dieses seltsame Gefühl zuerst für das Zeichen einer Krankheit gehalten. Dann hatte sie gemerkt, dass dieses Gefühl mit ihm zusammenhing und gedacht, dass es vielleicht verschwinden würde, wenn sie ihn ignorierte, ihm die kalte Schulter zeigte. Doch auch das war ein Irrtum gewesen, denn zu dem seltsamen Gefühl kam ein beinahe noch Stärkeres hinzu, welches innerhalb so kurzer Zeit bereits angefangen hatte, sie von innen her aufzufressen.

Es schmerzte sie, ihn zu ignorieren oder ihm gar weh zu tun. Und das hatte sie an dem heutigen Tag mittlerweile oft genug getan, dass wusste sie. Denn auch Worte können schmerzen, manchmal sogar stärker als jede körperliche Verletzung.

Daher riss Nabiki sich zusammen und sprang auf. So schnell sie ihre Beine trugen hetzte sie die Treppe hinunter durch das Wohnzimmer und nach draußen in den Garten. Sie hatte Benjamin schnell gefunden, er lag genau in einem Lichtstreifen, der von einem Fenster im Erdgeschoss ausging.

?Benni!?, rief Nabiki erschrocken und verzweifelt, als sie ihn erblickte. Unwillkürlich hatte sie ihn mit einem Spitznamen gerufen. Sie rannte zu ihm und fiel neben ihm auf die Knie. Er hatte eine kleine Wunde auf der Stirn, die leicht blutete. Mit beinahe mütterlicher Fürsorge schob sie eine Hand unter seinen Kopf und hob ihn an. ?Hey, Benni!?

Nabiki streichelte ihm vorsichtig über die Wange. Plötzlich zitterten seine Augenlider und öffneten sich dann langsam. Zuerst starrte er in die Ferne. Es dauerte eine Weile, bis Benjamin seine Augen auf Nabiki fixiert hatte. Sie lächelte ihn schräg an. Benjamins Miene regte sich keinen Millimeter.

Langsam erlosch Nabikis Lächeln. ?Kan?Kannst du stehen??, fragte sie zögernd. Benjamin murmelte etwas und begann aufzustehen. Als er sich dabei auf sein rechtes Bein stützte, schrie er vor Schmerzen so laut auf, dass Nabiki beinahe einen Herzinfarkt bekam. Sie kam Benjamin erschrocken zur Hilfe und stützte ihn, doch er schlug ihre Hand weg und rutschte auf Knien bis zur nahen Hauswand und stemmte sich mit schmerzverzerrtem Gesicht daran hoch.

Nabiki, die sich zutiefst verletzt fühlte, wollte ihn stützen und zum Haus zurückführen, doch Benjamin knurrte: ?Ich brauche deine Hilfe nicht!?, woraufhin die junge Frau zurückzuckte und die Fäuste auf den Mund presste. Mit Tränen in den Augen sah Nabiki Benjamin hinterher, der sich unter sichtbar großen Schmerzen an der Wand entlang zur Schiebetür auf der schmalen Veranda vorarbeitete.

Als er im Haus verschwunden war, hörte sie erschrockene Stimmen heraustönen, doch sie erreichten ihr Ohr nicht mehr. ?Was habe ich nur getan??, flüsterte sie unter Tränen. Nabiki Tendo sank gegen die Hauswand und schluchzte in der Dunkelheit herzergreifend, immer darauf bedacht, so wenig Lärm wie möglich zu machen. Einsam und allein stand sie so da, ihr Körper immer wieder gebeutelt durch heftige Schluchzattacken.

Doch ihr Kummer wurde dadurch nicht, wie erhofft, weniger, sondern nahm im Gegenteil immer mehr zu.

?Benjamin??



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