Fanfic: Meine Liebe III. [Ende]

häßlichen Narbe geschlossen. Und da saß ich jetzt mit meiner häßlichen Narbe, mein Leben hatte eine neue Form bekommen, und es ging mir sogar gut mit Ryoga. Ausgerechnet jetzt rief er an!


Ein Gefühl der Verletzbarkeit durchbrach die Verlassenheit, an die ich mich in all den Jahren gewöhnt hatte.


Zeit heilt nicht alle Wunden, sie verschließt sie nur. Und wenn sie dann wieder aufbrechen ist es unerträglich. Ich musste mich zurückhalten um nicht laut loszuschreien.


Ich konnte mir nicht vorstellen, ihn nach so vielen Jahren wiederzusehen. Aber ich konnte mir auch nicht vorstellen, es nicht zu tun.


Also schnappte ich mir meine Jacke und lief zum Park. Die ganze Zeit, als ich durch den Schnee stapfte, fühlte ich mich verkrampft und eigenartig unwirklich, wie in einem Traum. Ich kam zum Wald, zu diesem See mit der Parkbank... und dann sah ich ihn. Er hatte mich noch nicht entdeckt, stand einfach nur mit dem Rücken zu mir da und starrte auf die dunkelgrüne, tiefe Fläche des Sees, die schon zugefroren war. Ranma hatte die gleiche Kleidung an wie früher, dieses rote, chinesische Hemd und seine schwarze Hose.


Es lagen nur noch ein paar Meter zwischen uns, als er mich erblickte. Wir sahen uns einige lange Sekunden einfach nur an. Dann kam er langsam auf mich zu.


„Du hast deine Haare wieder langwachsen lassen.“, war das erste, was er sagte und strich mir eine Haarsträhne aus dem von dem Wind geröteten Gesicht.


Ich nickte.


„So ist es auch schön.“, sagte er.


„Du hast dich gar nicht verändert.“ Das stimmte, sein Gesicht war immer noch das gleiche. Doch ich bemerkte einen anderen Zug um diese großen blauen Augen. Einen traurigen Zug.




Und ich wusste, dass ich ihm verziehen hatte. Schon vor einer Ewigkeit.




Da spürte ich plötzlich wie mir die Tränen kamen, und wir flogen uns in die Arme und umarmten uns fest und lange im Novemberwind. Sein Duft, dieser männliche Duft erfüllte mich bis in die Zehenspitzen und ich wollte ihn nie mehr wieder loslassen. Seine warme Hand strich über meinen bebenden Rücken. Ein Weinkrampf schüttelte meinen ganzen Körper und ich krallte meine Finger in seinem Hemd fest, benässte es mit Tränen.


Ich heulte und weinte, weinte und heulte.


Ich war so übervoll von Gefühlen, dass es mir vorkam, als ob der Platz für meine Lungen nicht mehr reichte und ich nachhelfen musste, um genügend Luft zu bekommen.


„Warum musstest du kommen, Ranma, nach sovielen Jahren?! WARUM???!!!!“ Ich schlug mit meinen geballten Fäusten gegen seinen Brustkorb und er packte meine Handgelenke.


„Weil... weil ich dich liebe, Akane.“ Er schaute mir tief in die Augen.


Schluchzend sank ich auf die Knie und schlug mir die Hände vors Gesicht. Es war zuviel.. er beugte sich zu mir runter und schlang seine Arme um mich.


„Nicht weinen... nicht weinen...“


Er strich mir übers Haar und legte sein Gesicht an meine Wange, so dass ich seinen warmen Atem an meinem Hals spürte.


„Verdammt, ich habe mich nach dir gesehnt.“


Langsam versiegten meine Schluchzer und ich wischte mir mit dem Handrücken die Tränenspuren aus dem Gesicht.


„Warum bist du gekommen, Ranma? Warum bist du wirklich hier?“ fragte ich frierend und zitternd.


Doch anstatt mir zu antworten, zog er mich hoch und legte seinen Arm um meine Schulter, und wir gingen los. Mein ganzer Körper war steif. Er führte mich zu der Parkbank und ließ sich neben mich nieder. Aus den Augenwinkeln musterte ich sein Profil, diese gerade Nase und seinen Mund, der leicht offen stand und aus dem weiße Atemwölkchen quollen. Dann begann er zu sprechen.




„Ich habe Krebs, Akane.“


„Wirst du sterben? Bist du deshalb gekommen?“ Meine Stimme war belegt und ich starrte krampfhaft geradeaus, aber ohne den See oder die Bäume wirklich zu sehen, alle meine Sinne waren auf Ranma konzentriert. Sein leises, langsames Nicken, schien sich tief in meine Brust zu bohren und ließ meinen Herzschlag für einen Moment aussetzen.


Krebs... erst jetzt fiel mir auf, dass Ranma sich doch verändert hatte. Er war dünner geworden.


Der eiskalte Wind zerrte an meinem Haar und ich zog meine Jacke fester um meinen Körper. Doch es war nicht nur diese Kälte, die mich frieren ließ. Ich wandte meinen Kopf. Das durfte nicht sein... nicht er... nicht Ranma... ich kroch zu ihm rüber.


„Und warum musstest du auch noch ausgerechnet an so einem eisigen Tag kommen um mir das zu sagen?“. flüsterte ich, schlotternd und weinend in einem.


Ranma beugte sich zu mir, schob sich zwischen mich und den Wind und küsste mich. Mitten im Herbstwind kam wieder ein bißchen der Hitze aus seinem Zimmer zu mir zurück, dieses Gefühl der unbeschreiblichen Geborgenheit und Wärme, als Ranma bei mir gelegen und mich geliebt hatte.


Und ich glaube, erst da wurde mir klar, was wahre Liebe ist.


Es ist die Liebe zwischen Ranma und mir, dieses Gefühl, dass man nur einmal im Leben geschenkt bekommt und auch nur bei einem Menschen.


Die wahre Liebe ist tief, man kann sie verstecken, über Jahre hinweg verdrängen wie ich es getan habe, aber man kann sie nie vollkommen verlieren, sie ist in einem. Sie bedeutet nicht dauerhaft Glück oder das Verlangen in einem Moment, Anziehung oder Gleichgesinntheit, Zusammensein. Sie kann auch zwischen zwei Menschen bestehen, die sich trennen.


Wir hatten ein Leben zusammen und ein Leben ohne einander geführt, aber immer war da noch die Liebe zwischen uns. Nur leider... haben wir sie nicht gelebt.




Ranma löste er den Kuss und schaute mich lange und nachdenklich an.


„Hast du vergessen wie ich aussehe?“ fragte ich und brachte sogar ein schiefes Lächeln zustande.


„Nein... ich habe dein Gesicht auswendig gekannt, schon als ich dich das erste Mal gesehen habe...“ Er küsste mich auf die Stirn.


„Ich möchte dich um zwei Sachen bitten, Akane, erfüllst du sie mir?“


Ich nickte langsam.


„Erstens, vergiß nie, niemals in deinem ganzen Leben, dass ich dich liebe und immer lieben werde, hast du verstanden?“


Ich nickte wieder, diesmal mühsam, denn ich verspürte schon wieder diesen unangenehmen Druck in der Kehle und hinter meinen Augenlidern. Er schien es zu bemerken und umarmte mich.


Wir saßen lange da, still und einsam auf der alten, morschen Parkbank, bis wir wieder in der Lage waren zu sprechen.


Wir redeten, über mich, ihn, uns, über all die Dinge die so lange in unseren Herzen verschüttet waren und er versuchte mich zu trösten.


All die verlorenen, vergeudeten Jahre... erst als es zu spät war, haben wir wieder über unsere gemeinsame Zeit gesprochen.




Dann, irgendwann, ist er aufgestanden und gegangen, in der Dunkelheit verschwunden und ließ mich für immer zurück.




Zwei Monate später ist er gestorben. Allein.






*****






Ja, du bist gestorben.




Manchen Menschen, die sich so unendlich lieben wie wir, widerfährt die Gnade, gemeinsam im selben Augenblick zu sterben, im gleichen Atemzug, im gleichen Wimpernschlag, sodass sie niemals dieses Gefühl der unerträglichen Leere erfüllt, dass einen nach dem Verlust einer geliebten Person unweigerlich überkommt.




Nun... diese Gnade war uns nicht vergönnt.




Du hast mich allein gelassen.




Allein mit dieser Leere.




Du hast mich mit meinen Fragen zurückgelassen und während all der Jahre, die seit deinem Tod vergangen sind, konnte ich sie nicht beantworten.




Warum bist du gegangen?




Warum nur haben wir uns das angetan?




Warum haben wir uns selbst daran gehindert, glücklich zu sein?




Ich weiß es nicht... und werde es wahrscheinlich auch nie wissen.




Aber du bist meine Liebe, du warst meine Liebe und du wirst es ewig bleiben, über den Tod hinaus, unendlich und unsterblich, unauslöschlich.




Ich liebe dich, Ranma Saotome.




Damals an diesem Novembertag vor neun Jahren, als ich dich das letzte Mal sah, versprach ich dir, niemals zu vergessen, dass du mich liebst, egal was kommt.


Das habe ich auch nicht. Ich würde mich selbst vergessen, alles was ich bin und wofür ich geboren wurde, würde ich dich vergessen.




Mein zweites Versprechen an dich war, die Geschichte meiner Liebe eines Tages aufzuschreiben und zu veröffentlichen. Für mich und für dich und nur für uns.






Das habe ich hiermit getan.




*****




Akane Tendo,


den 09. November 2021










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GEWIDMET S.B., FÜR IHREN MUT UND IHRE STÄRKE, IHREN LEBENSWILLEN UND IHRE KRAFT.




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Danke fürs Lesen und die (hoffentlich ^^) Kommentare. Ich wünsche euch noch schöne Festtage.




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