Fanfic: Die Kreuzfahrer

handhaben; es war vernünftig, vor Fra` Piet Angst zu haben.




Dies war etwas anderes. Hier war er unwissend und verwirrt, genau wie


seine Brüder – Land und Leute fremd. Noch vor wenigen Monaten waren


sie, in einer anderen Welt, Söldner, Kunsthandwerker oder Bauern gewesen.


Fra` Piet bildete ihre Brücke von dieser in jene Welt; er war ihr


Mentor, obschon gnadenlos in seinen Anforderungen und besessen von


seinen Pflichten; er war ein Fels in der Brandung, zerklüftet und


gefährlich, aber verlässlich. Und plötzlich hatte er sie, in dieser


kahlen, handbehauenen Höhle von einer Kammer, einem Fremden überlassen;


Fra` Tumis schien gelangweilt oder verächtlich oder beides zu sein,


aber keineswegs Furcht einflößend, und dennoch empfand Marron Furcht


vor ihm oder dem, was er vorhatte.




Was Fra` Tumis beabsichtigte, war ein Rätsel; in den huschenden Schatten


des Kerzenlichts war es schwer genug gewesen, überhaupt zu verfolgen,


was er tat. Und noch schwerer, nachdem er sich einmal in dem Kreis


umgeschaut und dann mit einer Hand schroff nach unten gestikuliert


hatte, um ihrer aller Blicke auf die gefalteten Hände oder den dunklen,


feuchten Steinboden zu dirigieren, auf dem sie knieten.




Marron hatte gehorsam den Kopf gesenkt, aber weder seine Willenskraft


noch die eines anderen hätte ihn daran hindern können, verstohlene


Blicke zu riskieren. Ihm schien, wie die kurzen Blicke zeigten, die


er sich gestattete, als hätte Fra` Tumis die Hände über die flackernde


Kerzenflamme gehalten, um das Licht mit den Fingern abzuschirmen;


es schien, als wäre das pummelige Fleisch der Flamme zu nahe gekommen,


als müssten beißender Brandgeruch aufsteigen und Schmerzensschreie


ertönen.




Aber Tumis hatte leise gesungen, und wenigstens seine Stimme klang


angenehm. Die Sprache, die Worte kannte Marron nicht. Und ihm war


unerklärlich, wie plötzlich mehr Licht in der Kammer herrschen konnte


statt weniger, da Tumis` Hände die Kerze derart abschirmten. Aber


es gab Licht, grelles weißes Licht, das Marron die Augen zusammenkneifen


ließ, das ein Zischen im gesamten Kreis der Männer auslöste, das seinen


Nachbarn – Aldo, bei deiner Haut, sei still! – veranlasste, ein Grunzen


von sich zu geben und die Kapuze aufzuziehen, um die geblendeten Augen


zu schützen.




Licht, hatte man ihnen beigebracht, ist der Hauptbeweis für die Ausgeglichenheit


des Gottes, es zeigt, dass wir die Hälfte unserer Zeit in der Sonne


und die andere Hälfte in der Dunkelheit verbringen. Das ist Sein Geschenk


an uns, damit wir unseren Pfad zur Tugend sehen können; es ist auch


ein Instrument Seiner Gerechtigkeit, auf dass andere unsere Sünden


sehen mögen.




Dies indessen war ein Licht, wie Marron es noch nicht kannte, ein Licht,


für das es in seiner Theologie keinen Platz gab. Dieses Licht malte


goldene und feurige Linien in die Luft, und inzwischen war nicht nur


Aldo in Bewegung geraten. Männer machten das Zeichen des Gottes vor


der Stirn, mehr Aberglaube als Gebet, dachte Marron; aber er schenkte


ihnen lediglich einen Blick, es dauerte nur einen Moment, bis seine


Augen und sein Herz wieder in den Bann gerieten.




Es schien, als ginge dieses grelle Licht von der Kerze aus: Flammen


erhoben sich wie Glas darüber, wie weiß glühende Glasstäbe, so starr


und still. Die Wände der Kammer lagen im Schatten, obschon Tumis die


Hände inzwischen weggenommen hatte; Tumis stand ebenfalls im Schatten,


obwohl nur einen Schritt von der Kerze entfernt. Das Licht – empfindlich


und dennoch kräftig, so wie straff gespannte Bahnen aus Seide – reichte


bis ins Zentrum des Kreises der Brüder hinab und zeigte ihnen Wunder.




Ihr werdet Wunder sehen, hatte man ihnen gesagt, noch ehe sie ins Land


der Zuflucht aufgebrochen waren, ihr werdet Wunder und Ungeheuer sehen;


seid bereit.




Aber wie hätten sie sich im Geiste je auf das hier vorbereiten können?




»Dies ist das Auge des Königs«, stimmte Fra` Tumis in der angespannten,


nervösen Stille an. »Es ist Gottes Segen für den König, auf dass er


im Namen Gottes über sein Land wachen, seine Grenzen vor den Widersachern


Gottes und das Kernland vor Ketzerei schützen möge. Es zeugt von der


Güte des Königs für seine Untertanen, dass er diesen Segen auch der


Militanten Kirche spendet, auf dass wir besser dienen können.«




War das Güte? Marron war sich sicher. Kalter Schweiß brach ihm an diesem


Ort der Kälte aus, seine Finger zitterten im Rhythmus des Pulsschlags;


dies war das zweite Mal innerhalb von zwei Tagen, dass er bis ins


innerste Mark erschüttert wurde, und die Klinge, die sich in sein


Herz gebohrt hatte, bestand bestenfalls zur Hälfte aus Staunen. Der


Rest war nacktes Grauen.




Das Licht bildete Linien wie goldene Drähte und Flächen wie goldene


Laken; es zeichnete Mauern und Kuppeln und Minaretts; es erbaute einen


Palast oder Tempel in Miniatur, dem goldenen Spielzeug eines Prinzen


gleich, nur verbrannte dieses Spielzeug die Augen der Männer, sein


Entstehen versengte ihr Denken wie ein Brandzeichen, und es ruhte


eine Handbreit über dem Boden in der Luft.




»Dies ist der Dir` al Shahan in Ascariel«, sagte Tumis, »es war der


größte Tempel der Ekhed, als sie die Stadt beherrschten. Er wäre zerstört


worden«, er hätte zerstört werden müssen, schien seine Stimme zu sagen,


»als der Gott uns den Sieg zuteil werden ließ; aber der König entschied


sich anders und nahm ihn für sich in Besitz. Heute ist er sein Palast,


das Zentrum seiner Macht.«




Der Palast drehte sich in der Luft und schien sich von allen Seiten


gleichzeitig zu entfernen; während er entschwand, schwebten andere


Gebäude in das Licht, und Straßen und enorme Gärten an Steilhängen,


ein Fluss tief unten und …




»Das ist Ascariel«, sagte Tumis, als die gesamte Stadt auf ihrem Berg


vor ihnen ausgebreitet lag und golden in der stinkenden Luft glänzte,


und Marron dachte: Wer die Wirklichkeit nicht braucht, wer brauchte


dann die vielen Toten?




Marron hatte in der großen Abtei, wo er sein Gelübde abgelegt hatte,


Karten gesehen. Er hatte sogar eine Karte dieser Länder gesehen, allerdings


war sie von den Scharai geschaffen, beim Fall von Ascariel erbeutet


und als Geschenk an den Abt geschickt worden; er konnte sie nicht


lesen. Ein älterer Bruder, der die seltsame Schrift lesen konnte,


hatte ihm die Heilige Stadt gezeigt: nur ein Zeichen in bunter Tinte


auf Pergament, aber dennoch hatte er ein Schaudern verspürt, als er


den Finger darauf gelegt und den Namen gemurmelt hatte: Ascariel!




Dies allerdings – dies war mehr als eine Karte, sogar mehr als eine


Karte aus Licht und Magie. Dies war das Heilige Land selbst, das in


aller Pracht beschworen wurde. Ihm schien, als hätte er Wachen rings


um den Palast des Königs gesehen, Gestalten auf den Straßen, Pferde


und Wagen und einen geschäftigen Marktplatz. Noch jetzt war ein goldener


Schimmer zu sehen, als würde eine Perlenkette langsam durch ein winziges


Tor in der Stadtmauer gezogen werden, und er dachte, dass dies eine


Karawane sein musste, die gekommen war, um in der Stadt Handel zu


treiben.




Fra` Tumis führte die Hände dicht an die glasartigen Lichtsäulen, die


von der Kerze aufstiegen, und intonierte Worte, die Marron hören,


aber nicht verstehen konnte. Weiß verblasste zu Gelb, Säulen schrumpften


zu normalen Flammen, und Ascariel war verschwunden.




Marron und seine Brüder regten sich wie Männer, die aus einem Traum


erwachen, bewegten die Schultern, um die abklingende Anspannung abzuschütteln,


betrachteten die ehrfürchtigen Gesichter der anderen und wussten,


dass sie ein Spiegelbild ihrer eigenen Mienen erblickten.




Marron schaute zu dem bleichen und schwitzenden Tumis, der zitterte


und sich die feuchten Hände am Gewand rieb. Nun umgab ihn keine Aura


überheblicher Langeweile mehr und keine Verachtung.




»Geht«, sagte er mit einer Stimme ohne alle Kraft und Selbstgefälligkeit.


»Geht hinaus, Fra` Piet wird euch den Weg zeigen …«
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