Fanfic: Sternenkrone

warteten weiche Kissen auf die Reisenden. Während sie sich


entspannten, erschienen zwei Halbwüchsige mit goldenen Bechern voller


Wein und einem Korb mit feuchten, braunen und Nussähnlichen Früchten.


Nur ihre Hände waren zu sehen - weiche, junge, mit Henna-Mustern bemalte


Hände. Jemand spielte auf einer viersaitigen Harfe. Die braunen Augen,


die dichten Wimpern und das fein geschnittene Gesicht verrieten nicht,


ob es sich dabei um einen Jungen oder ein Mädchen handelte. Ein Bronzering


zierte die Nase des - oder der - Spielenden, Armreifen schmückten


die Arme, und ein Brandzeichen verunstaltete die Wangen.




Im Schutz der dahinplätschernden Melodie beugte sich Alain nach vorn.


»Eine Frau beobachtet uns vom Zelt aus.«




»Wo? Ich kann niemanden sehen.« Adica biss in eine der nussbraunen


Früchte. Sie war süß und schmeckte überhaupt nicht nach Nüssen. Sie


war köstlich.




»Sie beobachtet uns«, wiederholte Alain. Rage und Kummer kamen vom


Teich herübergetrottet. Wasser tropfte ihnen von den Lefzen, während


sie sich an einem schattigen Fleckchen niederließen, den Kopf auf


die Vorderbeine legten und sich zufrieden ausruhten. »Warum hast du


den Stein berechnen müssen, um diesen Stamm zu finden? Der Webstuhl,


an dem die Zauberin ihre Magie wirkt, wird sich doch wohl immer am


gleichen Platz befinden.«




»Der Stamm von Helle-Hört-Mich lebt nicht in Häusern, wie mein Stamm


das tut. In ihrem Land gibt es mehr als einen Webstuhl. Wenn sie weiterziehen,


kennzeichnet die Geweihte den Webstuhl, der dem Lager des Stammes


am nächsten ist, damit unsere Magie sich mit diesem Webstuhl verbinden


kann. Die Steine sind so angebracht, dass die Linie, die man zwischen


ihnen ziehen kann, auf die Wasserstelle deutet, an der der Stamm sein


Lager errichtet hat.«




Nachdem sie sich erfrischt und etwas erholt hatten, erschien eine andere


Gestalt, ebenfalls in Gewänder gehüllt, und bedeutete Adica und Laoina


mit einer Geste, das Zelt zu betreten. Als Alain aufstand, um sie


zu begleiten, schüttelte Adica den Kopf.




»Es ist einem Mann nicht gestattet, das Zelt von Helle-Hört-Mich zu


betreten. So lautet das Gesetz in diesem Stamm.«




»Bist du da drinnen denn in Sicherheit?«, fragte er mit gedämpfter


Stimme. »Es gefällt mir nicht, dich allein da hineingehen zu lassen.«




»Mach dir keine Sorgen, mein Herz. Hier droht mir keine Gefahr.«




Nach kurzem Zögern ließ er sich in die Kissen zurücksinken, doch es


gelang ihm nicht, sich wieder zu entspannen.




Es war nicht sonderlich düster im Zelt, denn dort, wo die Zeltwände


auf das Dach trafen, waren weit aufklaffende Schlitze in die Stoffbahnen


eingelassen, durch die Licht hereinfallen konnte. Der Fußboden bestand


aus festgestampftem Sand. Sechs Pfosten waren in den Sand getrieben


worden, an denen weitere Pfähle so angebracht worden waren, dass sie


zwei einander überlappende Dreiecke bildeten. Durch diese Dreiecke


woben sechs Frauen aus blauen, purpurnen und karmesinroten Fäden ein


Stück Stoff mit kompliziertem Muster - auf die gleiche Weise, wie


mittels der Steinwebstühle die Fäden aus Sternenlicht verwoben wurden.


Eine Gestalt formte sich auf dem Stoff, doch Adica konnte nicht erkennen


- noch nicht -, was es war. Die Frauen trugen hier keinen Schleier


vor dem Gesicht, aber ein Schal bedeckte ihre Haare, und helle, weit


fallende Gewänder verhüllten ihre Körper. Sie hatten einen dunklen


Teint und erstaunliche, schwarzbraune Augen. Die Hände der Frauen


waren mit Henna bemalt, enthüllten ähnliche Muster aus Punkten und


Zickzack-Linien, wie sie es bei jenen gesehen hatten, die draußen


warteten. Das Gemurmel ihrer Unterhaltung schwoll abwechselnd an und


verebbte wieder, als ob es in den Stoff eingewebt werden sollte. Die


jüngste der Frauen schaute auf und musterte Adica mit einem offenen,


unerschrockenen Blick, doch sie senkte den Kopf sogleich wieder, als


ihre Nachbarin sie am Oberschenkel anstieß.




Ein weiterer Vorhang wurde von einer unsichtbaren Hand beiseite gezogen,


und sie duckten sich, um das dahinter liegende Zimmer zu betreten.


Eine alte Frau führte sie zu einem wunderbar gearbeiteten Kupferbecken,


in dem sie sich die Hände waschen konnten. Die Einrichtung des Zimmers


bestand aus Plüschteppichen, einem Haufen mit Blumen und Reben bestickter


Kissen und zwei Truhen, in die zur Verzierung Löwenfrauen geschnitzt


worden waren. Die Vorhänge an den Seiten waren aus blauen, purpurnen


und karmesinroten Fäden gewoben, und auch sie zeigten die Löwenfrauen


in ihrer ganzen imposanten Erhabenheit. Die alte Frau zog an einem


Glockenstrang, der neben dem Vorhang hing.




Ein weiterer Vorhang, hinter dem sich das hinterste Zimmer verbarg,


lüftete sich. Adica warf einen kurzen Blick in das schwach erleuchtete


Innere dieses Zimmers: Ein aus Gold gearbeiteter Tisch und ein ebensolcher


Stuhl standen auf dicken Teppichen; der hintere Teil des Zelts wurde


von einem hauchdünnen Schleier aus feinstem Leinen verborgen. Eine


Frau schlurfte durch ihr Blickfeld, von der schweren Last des Alters


niedergedrückt. Sie trug die gleichen fließenden Gewänder wie die


anderen Mitglieder ihres Stammes, aber im Gegensatz zu ihnen war auch


ihr Gesicht vollkommen von einem Leinenschal verhüllt, nicht einmal


ihre Augen waren zu erkennen. Da aber das Gewebe in Augenhöhe etwas


dünner war, konnte sie vermutlich etwas sehen, ohne selbst gesehen


zu werden. Den Überzeugungen ihres Volkes entsprechend hatte sie das


Antlitz ihres Gottes geschaut, und die göttliche Ausstrahlung leuchtete


noch immer so grell in ihrem Gesicht, dass es andere Sterbliche töten


würde, sie anzusehen.




»Ich grüße dich, Helle-Hört-Mich«, sagte Adica respektvoll und wartete


darauf, dass Laoina die Worte übersetzte. »Wichtige Angelegenheiten


führen mich in dieses Land, das auf mich einen seltsamen und gefährlichen


Eindruck macht.«




Helle-Hört-Mich stotterte ein bisschen. Sie sprach etwas schwerfällig,


und es lag ein tiefer Ernst in ihrer Stimme, als ob jedes Wort zuvor


durch die Hände ihres Gottes gegangen wäre. »Auch ich grüße dich,


Junge-Die-Zu-Uns-Gehört.« Dann verstummte sie, wartete in der Stille,


die nur gelegentlich von dem leisen Singsang der Frauen im angrenzenden


Zimmer unterbrochen wurde. Die Vorhänge und Wände dämpften die Geräusche


von draußen. Schließlich sprach die alte Frau erneut: »Woher kommt


dieser Mann, der noch nicht geboren ist?«




»Aus dem Webstuhl«, antwortete Adica überrascht. »Die Geheiligte holte


ihn von jenem Pfad, der ins Land der Toten führt, damit er mir bis


zu meinem letzten Tag als Gefährte dienen kann.«




»Er kann nicht tot sein«, sagte die heilige Frau, »denn er ist noch


gar nicht geboren.«




»Aber wie kann er dann hier sein, im Körper eines Mannes?«




»Das ist ein Geheimnis. Seine Seele ist noch nicht dazu bestimmt, auf


dieser Erde zu wandeln.«




Adica fragte sich, ob Laoina die Worte der heiligen Frau richtig übersetzt


hatte. Andererseits hatte tatsächlich noch keine der anderen Zauberinnen


jemals das bloße Antlitz ihrer Götter geschaut, auch Adica nicht.


Ganz gewiss musste so etwas einen Menschen verändern. Und ganz gewiss


bedeutete es, dass solch ein Mensch Dinge sehen konnte, die für andere


Sterbliche unbegreiflich blieben.




»Ich fürchte, ich verstehe nicht ganz, was du da sagst.«




Helle-Hört-Mich machte eine Pause, als ob sie lauschen würde - vielleicht


ihrem Gott? »Vieles, was das Leben betrifft, bleibt ein Geheimnis.


Selbst mir, die ich einen flüchtigen Blick auf das Antlitz Gottes


erhascht habe, ist es nicht vergönnt, all das zu wissen, was geschehen


wird. Erzähl mir, was in den anderen, weit entfernten Ländern vor


sich geht.«




Auf Adicas Anweisung hin berichtete Laoina von den Ereignissen, die


zu ihrer Reise ins Lager von Helle-Hört-Mich geführt hatten.




»Was sollen wir tun, wenn Horn tot ist?«, fragte Adica und fürchtete


sich sogleich vor der Antwort.




Eine unbehagliche Stille breitete sich aus. Adica konnte das Gemurmel


der Weberinnen nicht mehr hören; sie konnte überhaupt nichts mehr


hören, noch nicht einmal das sanfte, seufzende Geräusch, mit dem sich


die Zeltwände im Wind bewegten. War sie plötzlich taub geworden? Ein


Scharren ertönte - es stammte von Laoina, die ihre Füße auf dem Teppich


bewegt hatte. Ein helles Glöckchen erklang.
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