Fanfic: Sternenkrone 2
sie oft dachte,
einen Mann, der mutig genug wäre, an ihrer Seite zu bleiben.
Sie kroch wieder in ihren Unterschlupf und durchwühlte ihre Zedernholzkiste
auf der Suche nach einem Geschenk für Fallender. Sie entschied sich
für eine Kupferstange und ein Elchgeweih. Schließlich fand sie ein
Bernsteinhalsband, das sie einst Beor gegeben hatte, um ihre Übereinkunft
zu besiegeln, aber natürlich war er von den Ältesten gezwungen worden,
es ihr zurückzugeben. Dann kleidete sie sich an, wickelte sich das
Kleid zweimal um die Hüfte, zupfte ihr Miederoberteil herunter und
hängte den Spiegel an einer Schlaufe an das Kleid. Sie steckte die
Geschenke in einen kleinen Korb, zusammen mit einer Kette aus Knochenperlen,
die sie als Freundschaftsgabe der Obfrau von Fallenders Dorf geben
wollte, und kletterte ins Freie. Sie schlang sich den Korb mit einem
Seil über die Schulter und hob ihren Stab.
Ein Pfad wand sich durch das Gras zu dem Steinwebstuhl. Der Steinkreis
wartete in erwartungsvoller Stille darauf, dass sie die Steine erweckte.
Sie blieb auf dem Anrufungsboden außerhalb des Steinkreises stehen,
einem staubigen Fleckchen aus Kalkstein, das hell im Sternenlicht
erstrahlte.
Sie hob den Spiegel und begann mit Gebeten, um die Steine zu erwecken:
»Was sich im Osten öffnet - höre mich.
Was sich im Westen öffnet - höre mich.
Ich bitte dich, Fette, lass mich den Kettfaden deines himmlischen Webens
führen, damit ich das Tor durchschreiten kann, das durch seinen Atem
entsteht.«
Sie verrückte den Spiegel so oft, bis das Licht der Sterne, die den
Mahlstein bildeten, sich auf der glatten Oberfläche spiegelte. Derart
vom Spiegel zurückgeworfen, würde die schreckliche Macht der Sterne
sie nicht verbrennen. Mit ihrem Stab zog sie das gespiegelte Licht
in den Webstuhl der Steine und wob sich einen lebendigen Durchgang
aus Sternenlicht und Stein. Sie spürte durch die Fußsohlen hindurch
die Totenklage der alten Königinnen, die in dem riesigen Webstuhl
der Sterne geheimnisvolle Magie geweissagt hatten, von der nicht einmal
die Verfluchten wussten. Fäden aus Sternenlicht verfingen sich in
den Steinen und verflochten sich zu einer Architektur, die aus körperlosem
Licht bestand, das in ein helles Tor gewebt worden war. Sie trat hindurch
und in Regen hinein. Ihre Füße trafen auf matschigen Boden, hinterließen
feine Kalkspuren im Gras. Die Luft dampfte vor heißer, schwerer Feuchtigkeit.
Es regnete. Sie prallte gegen einen Menhir, doch eine dichte Moosschicht
um den Stein verhinderte, dass sie sich die Schulter schlimmer stieß.
Es war offensichtlich unmöglich, irgendwelche Sterne zu sehen. Und
sie konnte auch den Pfad nicht sehen. Aber Fallender hatte eine Behausung
in der Nähe errichtet, und sie stolperte in der Dunkelheit weiter,
bis sie gegen ein Strohdach stieß. Ein Haufen Stroh, der nach Schimmel
roch, bot sich ihr als Sitzplatz an. Während sie wartete, arbeitete
sie vor ihrem geistigen Auge immer wieder ihren Anteil an dem Muster
der großen Arbeit durch. Sie konnte das präzise Entfalten des Rituals
niemals genug üben; ein Ritual, das nach generationenlangen Kriegen
denen, die unter den Verfluchten litten, zurückzuschlagen gestatten
würde.
Als der Tag anbrach, ließ der Regen nach. Sie verließ den Hügel auf
einem abwärts führenden Pfad, und wenn auch ihre Schultern trocken
blieben, so waren ihre Füße doch völlig durchnässt. Marschland erstreckte
sich rings um sie, ein Flickenteppich aus kleinen Flächen stehenden
Wassers, kleinen Inseln und dichten Riedflecken.
Fallenders Volk hatte einen Pfad angelegt, der durch das Marschland
führte; er bestand aus geschnittenen, zerteilten und zu einem Gewebe
verarbeiteten Haselnussschösslingen, sodass man auf einem federnden
Streifen den sumpfigen Untergrund überqueren konnte. Während Adica
den Pfad entlangschritt, brach die Wolkendecke auf, und die Sonne
kam hervor. Auf einem Hügel in der Ferne wurde eine Gestalt sichtbar.
Jemand schrie ihr ein lautes »Hallo« entgegen, und sie hob zur Antwort
die Hand, ohne allerdings stehen zu bleiben. Der Weg zu den Hügeln
am Rande des Marschlandes, wo Fallender und sein Stamm sich niedergelassen
hatten, nahm gut und gern den ganzen Morgen in Anspruch.
Vögel zwitscherten. Sie hielt einmal an, um die geronnene Milch zu
sich zu nehmen, die sie mitgenommen hatte; einmal verließ sie den
Pfad, um Beeren zu pflücken. Seetaucher und Enten paddelten in den
flachen Gewässern. Ein Schwarm Schwäne glitt majestätisch an ihr vorbei.
Ein Reiher lauerte in seinem einzigartigen Glanz, königlich und voller
Stolz. Dann rührte er sich plötzlich und erhob sich mit großen, langsamen
Flügelschlägen in die Lüfte. Einen Augenblick später hörte sie einen
entfernten, trompetenden Ruf; sie duckte sich sogleich auf dem Pfad
und sah schweigend zu, wie eine riesige, geflügelte Gestalt am südlichen
Horizont entlangglitt und dann verschwand: ein Guivre auf der Jagd.
Schließlich führte der Pfad auf trockenes Land, das sich hügelan wand
und allmählich selbst zu Hügeln wurde. Verlassene, von Unkraut überwucherte
Felder gingen jetzt in Felder voller reifer Gerste und Emmer über.
Frauen und Männer arbeiteten mit Flintsicheln daran, einen Streifen
Emmer abzuernten. Ein paar von ihnen bemerkten sie und riefen es anderen
zu; alle hielten inne, um sie anzusehen. Ein Mann blies in sein Horn,
benachrichtigte das Dorf weiter vorn.
Schon bald war sie von einer Eskorte aus Kindern umringt, die alle
in ihrer unverständlichen Sprache drauflosredeten, während sie an
den vereinzelt stehenden Häusern entlangging, die alle zusammen das
Dorf bildeten. Die Hänge waren von weiten Feldern bedeckt, und dahinter
war Wald zu erkennen.
Es war noch immer heiß und feucht, die heißeste Zeit im Spätsommer.
Schweiß rann ihren Rücken hinab, als sie die Häuser erreichte. Zwei
Kinder formten Lehm zu Töpfen, während ein drittes den Lehm zu einer
flachen Oberfläche bearbeitete, auf der sie eine feinere Paste aus
hellerem Lehm verrieb. Ein fertiger, noch nicht gebrannter Topf stand
neben dem Mädchen; er trug das Zeichen eines geflochtenen Seils. Vier
Männer schabten Felle. Zwei halbwüchsige Jungen kamen den Hang hoch,
Borkeneimer voller Wasser in den Händen.
Die Obfrau des Dorfes trat aus ihrem Haus. Adica bot ihr die Perlenkette
aus dem Norden, ein angemessenes Geschenk, das ihren Stamm nicht entehrte;
als Antwort darauf ließ die Obfrau von einem Mädchen warme, mit Koriander
gewürzte Gemüsesuppe und dickflüssigen Honigmet bringen.
Dann erhielt sie mittels bestimmter, vertrauter Gesten die Erlaubnis,
den Weg zu dem Haus von Fallender, dem Beschwörer des Stammes, weiter
zu beschreiten.
Wie sie gehofft hatte, war er nicht allein.
Fallender war so alt, dass seine Haare schon ganz weiß waren. Er behauptete,
das Fest der Sonne zweiundsechzigmal gefeiert zu haben, doch Adica
konnte nicht recht glauben, dass er so viele Feste gesehen, und erst
recht nicht, dass er sie gezählt hatte. Er saß mit gekreuzten Beinen
da und schnitzte aus Knochen einen Speer zum Fischen. Weil er ein
Beschwörer war - der Geweihte seines Stammes -, wob er Magie in den
Speer, indem er Fischadler und langhalsige Reiher in die Längsseite
der Klinge schnitzte: So versuchte er, dem Werkzeug mehr Erfolg beim
Fischfang zu bescheren. Während der Arbeit pfiff er leise vor sich
hin und wirkte damit einen zusätzlichen Zauber, der sich von allein
in die Magie einarbeitete.
Dorren saß rechts von Fallender. Er nahm mit seiner gesunden Hand Steine
aus einem Lederbecher und brachte ein paar Kindern, die in einem ungleichmäßigen
Halbkreis um ihn herum saßen, ein Zählspiel bei. Adica blieb hinter
ihnen stehen und sah Dorren zu.
Dorren blickte auf; er hatte ihre Anwesenheit gespürt. Er lächelte,
schickte die Kinder weg und erhob sich. Dann streckte er ihr seine
Hand entgegen, die übliche Begrüßung unter Verwandten. Sie wollte
ihm ebenfalls die Hand reichen, doch dann zögerte sie und ließ sie
wieder sinken. Seine von Falten übersäte Hand zitterte leicht, und
es hatte den Anschein, als wollte er sie bewegen, doch dann lächelte
er nur traurig und deutete auf Fallender, der immer noch mit seiner
Schnitzerei beschäftigt war.