Fanfic: Das Spiel der Götter
Meanas-Magie
aus, die er kannte. Das Gewebe des Gewirrs teilte sich; ein Riss entstand,
der kaum breit genug war, um ein Pferd durchzulassen. Doch hinter
dem Riss lag ein Vakuum, und aus dem Kreischen des Windes wurde ein
Brüllen.
Immer noch zwischen den Sphären hin und her pendelnd, schaute Kulp
ehrfürchtig zu, wie sich der schlammüberkrustete, zerschrammte Bug
der Silanda in den Spalt schob, ihn völlig ausfüllte. Das Gewebe riss
weiter auf, dann noch weiter. Auf einmal wirkte das Schiff schrecklich
breit. Die Ehrfurcht des Magiers verwandelte sich zunächst in Furcht,
dann in Entsetzen. Oh nein, ich habe es tatsächlich getan.
Milchiges, schäumendes Wasser gischtete um den Rumpf des Schiffs. Das
Portal riss nach allen Seiten hin unkontrolliert weiter auf, als das
Gewicht eines Meeres dagegendrückte.
Eine Wasserwand türmte sich vor dem Magier auf und schlug einen Augenblick
später über ihm zusammen, zerstörte seinen Anker, seine geistige Präsenz.
Und dann war er wieder in der stampfenden, knarrenden Kapitänskajüte.
Heboric stand im Türrahmen, als wollte er zugleich bleiben und hinausgehen,
und suchte verzweifelt nach einem festen Halt, während die Silanda
auf den Wogen tanzte.
Der Ex-Priester warf dem Magier einen finsteren Blick zu, als er bemerkte,
dass dieser sich wieder aufrichtete. »Sagt mir, dass Ihr das geplant
habt! Sagt mir, dass Ihr das hier alles unter Kontrolle habt, Magier!«
»Aber natürlich, Ihr verdammter Idiot! Könnt Ihr das denn nicht sehen?«
Er kletterte über die umgestürzten Möbel zur Tür und stieg dann auch
über Heboric hinweg. »Haltet die Stellung, alter Mann. Wir zählen
auf Euch!«
Heboric zischte ein paar derbe Grobheiten hinter ihm her, als Kulp
sich auf den Weg zum Hauptdeck machte.
Das Durchziehen des Unwillkommenen mochte noch voller Bitterkeit toleriert
worden sein - zumindest hatten die Mächte in Meanas sich ihm nicht
direkt entgegengestellt -, doch angesichts der Verletzung des Gewirrs
war es mit der Zurückhaltung vorbei. Dies war ein Schaden in kosmischem
Maßstab, eine Wunde, die sich möglicherweise nie mehr reparieren ließ.
Es ist gut möglich, dass ich gerade mein eigenes Gewirr zerstört habe.
Wenn die Realität sich nicht narren lässt. Natürlich lässt sie sich
narren - das tue ich doch andauernd!
Kulp mühte sich auf das Hauptdeck und eilte zum Achterdeck. Gesler
und Stürmisch standen am Steuerruder; beide Männer grinsten, als wären
sie komplett schwachsinnig, während sie sich bemühten, den Kurs zu
halten. Gesler deutete nach vorn, und als Kulp sich umdrehte, sah
er die vage, geisterhafte Erscheinung des Drachen; sein schmaler,
knochiger Schwanz schwang hin und her wie eine Schlange, die sich
über Sand windet. Noch während Kulp hinschaute, drehte die Kreatur
den Kopf und starrte aus toten, dunklen Augenhöhlen in ihre Richtung.
Gesler winkte.
Kulp schüttelte sich, kämpfte sich dann durch den Wind, bis er die
Heckreling erreichte, an der er sich mit beiden Händen festklammerte.
Der Riss war mittlerweile schon ein ganzes Stück weit weg - aber er
ist immer noch deutlich zu sehen, was bedeutet, dass er … oh, beim
Vermummten! Wasser gischtete in einem wirbelnden Strom im Kielwasser
des Wechselgänger-Drachens. Dass es nicht auf allen Seiten nach außen
schwappte, lag nur an der Masse von Schatten, die sich, wie Kulp nun
sah, auf die Ränder des Risses stürzten - und dabei vernichtet wurden.
Doch es kamen immer mehr. Die Aufgabe, die Bresche zu heilen, war
jedoch so groß, dass sie keine Möglichkeit fanden, sich dem Riss zu
nähern und die Wunde zu versiegeln.
Schattenthron! Und jeder andere uralte Bastard von einem Aufgestiegenen,
der mich hören kann! Mag sein, dass ich in keinen von euch besonders
viel Vertrauen habe, aber ihr solltet lieber anfangen, Vertrauen in
mich zu haben. Und zwar schnell! Illusionen sind meine Gabe, hier
und jetzt! Also glaubt! Die Augen auf den Riss gerichtet, stellte
Kulp sich breitbeinig hin, ließ die Heckreling los und hob beide Arme.
Er soll sich schließen … es soll heilen! Die Szene vor ihm waberte,
der Riss schloss sich, die Ränder verbanden sich miteinander. Das
Wasser floss langsamer. Er setzte mehr Macht ein, wollte, dass die
Illusion zur Wirklichkeit wurde. Seine Glieder zuckten. Schweiß brach
ihm am ganzen Körper aus, durchtränkte seine Kleider.
Die Wirklichkeit schlug zurück. Die Illusion verschwamm. Kulps Knie
knickten ein. Er packte die Reling, um sich aufrecht zu halten. Er
schaffte es nicht. Ich habe keine Kraft mehr. Ich schaffe es nicht
… Ich sterbe …
Die Kraft, die ihn von hinten traf, war wie ein echter Schlag auf seinen
Hinterkopf. Der Schmerz ließ ihn Sterne sehen. Eine fremde Macht fuhr
durch ihn hindurch, riss seinen Körper in die Höhe. Er spürte, wie
seine Füße sich vom Achterdeck lösten und er mit gespreizten Beinen
in die Luft stieg. Die Macht hielt ihn, ließ ihn schweben, und ein
Wille, der so kalt wie Eis war, durchdrang ihn, erfüllte seinen ganzen
Körper.
Die Macht war untot. Der Wille, der ihn gepackt hatte, gehörte dem
Drachen. Ein Hauch von Unmut schwang darin mit. Der Drache schien
nur widerwillig zu handeln, doch er griff dennoch nach Kulps magischer,
unlogischer Anstrengung … und gab ihr all die Kraft, die sie brauchte.
Und noch mehr.
Kulp schrie. Schmerzen durchzuckten ihn wie gletscherkalte Feuerlanzen.
Die Untoten kümmerten sich wenig um die Einschränkungen, die sterblichem
Fleisch auferlegt waren - diese Lektion wurde ihm jetzt bis ins Mark
eingebrannt.
Der schon weit entfernte Riss schloss sich. Auf einmal benutzten auch
andere Mächte den Magier als eine Art Medium. Aufgestiegene, die Kulps
ungeheuerliche Absicht begriffen hatten, kamen herbei, um sich voll
dunkler Freude an dem Spiel zu beteiligen. Es ist immer nur ein Spiel,
was? Ich verfluche euch verdammten Bastarde, alle miteinander! Ich
nehme alle meine Gebete zurück! Hört ihr mich? Der Vermummte soll
euch alle holen!
Er stellte fest, dass die Schmerzen verschwunden waren; der Wechselgänger-Drache
hatte seine Aufmerksamkeit in dem Augenblick von Kulp abgewandt, da
andere Kräfte aufgetaucht waren und seinen Platz eingenommen hatten.
Noch immer schwebte der Magier ein paar Fuß über dem Deck, und seine
Glieder zuckten, als die Mächte, die ihn benutzten, spielerisch an
seiner Sterblichkeit zupften. Diesmal stand nicht die Gleichgültigkeit
eines Untoten dahinter, sondern Bosheit. Kulp begann sich nach dem
Ersteren zu sehnen.
Schlagartig fiel er, schlug mit beiden Knien auf das dreckverschmierte
Deck. Das Werkzeug hat seinen Zweck erfüllt, das Werkzeug wird beiseite
geworfen.
Stürmisch war an seiner Seite, wedelte mit einem Weinschlauch vor seinem
Gesicht herum. Kulp packte den Schlauch und nahm einen großen Schluck,
füllte seinen Mund mit der herben Flüssigkeit.
»Wir fahren im Kielwasser des Drachen«, sagte der Soldat. »Aber wir
befinden uns nicht mehr im Wasser. Die Bresche hat sich so fest geschlossen
wie der Arsch eines Sappeurs. Was auch immer Ihr getan habt, Magier
- es hat geklappt!«
»Es ist noch nicht vorbei«, murmelte Kulp und versuchte, das Zittern
seiner Arme und Beine zu unterdrücken. Er nahm noch einen kräftigen
Schluck Wein.
»Dann seid lieber ein bisschen vorsichtig mit dem Zeug«, sagte Stürmisch
grinsend. »Es kann einem einen ordentlichen Schlag auf den Hinterkopf
versetzen …«
»Ich würde den Unterschied wahrscheinlich gar nicht bemerken - mein
Kopf fühlt sich jetzt schon an, als ob er aus Brei wäre.«
»Ihr habt in einem blauen Feuer geleuchtet, Magier. Hab so was noch
nie gesehen. Das wird `ne verdammt gute Kneipengeschichte geben.«
»Ah, dann habe ich zu guter Letzt doch noch Unsterblichkeit erlangt.
Merk dir das, Vermummter!«
»Könnt Ihr aufstehen?«
Kulp war nicht zu stolz, sich auf den Arm des Soldaten zu stützen,
als er sich schwankend auf die Beine mühte. »Lass mir ein bisschen
Zeit«, sagte er. »Dann werde ich versuchen, uns aus dem Gewirr … zurück
in unsere Sphäre zu bringen.«
»Wird das auch wieder so ein harter Ritt werden, Magier?«
»Das will ich nicht hoffen.«