Fanfic: Die Nacht der Drachenlanze

Chapter: Die Nacht der Drachenlanze

Die Nacht der Drachenlanze




In den schwärzesten Stunden der Nacht kehrte der Schmerz zurück. Er


begann als dumpfe Verzweiflung tief in ihrem Herzen, wo er ihre eigene


Trauer aufspürte und sich mit ihr verband, bis die alten Wunden aufrissen


und sie erneut in jene unfassbare, gähnende Leere zurückgeworfen wurde.


Unruhig wälzte sie sich unter den Decken hin und her. Obwohl sie schlief,


rannen ihr Tränen übers Gesicht, aber es gelang ihr nicht, der bitteren


Traurigkeit zu entrinnen.




Im Verlauf des Traums wurde der Schmerz stärker, um dann schließlich


bis in ihren Arm und ihren Rücken auszustrahlen. Das dumpfe Pochen


verwandelte sich in heftige Pein, die sich wie Säure in ihren Oberkörper


fraß.




Hilf mir. Eine nichtmenschliche Stimme rief aus weiter Ferne. Hilf


mir! Das inständige Flehen erfüllte ihre Gedanken. Etwas an der Stimme


kam ihr vertraut vor, doch solche Wesen hatten seit Jahren nicht mehr


mit ihr gesprochen.




Plötzlich drang ein hartnäckiges Klopfen in ihren Traum ein. »Hilf


mir!« Die Worte wurden wiederholt, aber diese Stimme klang anders


- eine Menschenstimme.




»Sara! Sara, bitte, ich brauche deine Hilfe!«




Die Traumstimme zog sich in die Dunkelheit zurück. Der Schmerz legte


sich und hinterließ nichts als eine leichte Verspannung ihrer Rückenmuskulatur.


Sara erwachte und richtete sich mühsam auf. Sie lag in ihrem eigenen


Bett in ihrer Hütte. Rings umher herrschte kalte, finstere Nacht.


Draußen erhob sich wieder die Menschenstimme: »Sara! Bist du da?«




»Ja, ja, Jacobar. Ich komme«, antwortete sie. Benommen vor Müdigkeit


und der durch den Traum geweckten Niedergeschlagenheit stolperte Sara


über den Lehmboden zur Tür und öffnete sie, um ihren nächtlichen Besucher


zu begrüßen.




Es war ein junger Mann - ein großer, kräftiger Bursche, der nun ängstlich


hereinstürmte. »Sara! Vielen Dank. Du musst kommen. Rose ist soweit,


aber ich glaube, das Kleine steckt fest.«




Irgendwie brachte Sara ein geduldiges Lächeln zustande. Sie hatte sich


allmählich an diese nächtlichen Überfälle gewöhnt, denn ihr Ruf als


geschickte Heilerin verbreitete sich rasch in der Umgebung. Während


Jacobar an der Tür auf und ab schritt, zog Sara eilig ihre Arbeitskleidung


an: eine alte Männerhose, Stiefel und eine saubere, wenn auch abgetragene


Tunika. Nachdem sie ihren Mantel und die Heilertasche an sich genommen


hatte, folgte sie dem jungen Bauern eilig in die stürmische Nacht.




Die kalte Luft traf Sara wie ein Schlag. Obwohl der Frühling schon


beinahe angebrochen war, hatte ein von Norden herkommender Sturm die


letzten paar Tage ungewöhnlich kühl und windig gemacht. Sie zog den


Mantel fester um sich, denn sie fröstelte. Hoffentlich hatte es die


Gebärende wenigstens warm.




Jacobar dicht auf den Fersen, eilte sie die Straße entlang zu einem


Pfad, der östlich der Dorfweiden zu einer kleinen Kate mit Scheune


führte, die sich in eine flache Mulde duckte. Es war ein schmuckes,


kleines Haus, an zwei Seiten von Baumreihen umstanden, die als Windschutz


dienten. Um die Scheune herum befanden sich Pferche und Korrale.




Einen Augenblick lang befürchtete Sara, der Bauer würde sie in einen


der morastigen Pferche führen - sie hatte mehr als einmal im Schlamm


gearbeitet -, aber Jacobar hielt auf die Scheune zu und riss das Tor


auf. Lampenlicht drang in die windige Nacht hinaus, und die schützenden


Scheunenwände wirkten richtig einladend. Sara lächelte erleichtert


und betrat das Gebäude.




Ihre Patientin lag auf der Seite auf einem sauberen Strohhaufen, und


ihre großen Flanken bebten vor Anstrengung. Rose war ein Zugpferd,


kein Rassetier, und damit nur für einen Bauern von Wert. Für Jacobar


war sie wegen ihres gutmütigen Wesens, ihrer Kraft, ihrer Geduld und


vor allem, weil er sich kein neues Pferd leisten konnte, unersetzlich.


Für ihn war sie alles.




»Kannst du ihr helfen?«, fragte er besorgt, als Sara den Mantel ablegte.




Die Frau nickte. »Ich glaube schon. Bring mir heißes Wasser und Seife,


wenn du welche da hast.«




Bereitwillig rannte Jacobar los, um ihr zu holen, was sie brauchte.




Sara breitete ihre Instrumente sorgfältig auf einem sauberen Tuch aus,


ehe sie die Stute gründlich untersuchte. Erfreut stellte sie fest,


dass Jacobar sie rechtzeitig gerufen hatte. Andere hatten zu lange


gewartet, weil sie das Geld für ihre Hilfe sparen wollten, um dann


doch noch in heller Panik zu ihr zu rennen, wenn es zu spät war, das


Fohlen wie die Stute zu retten. Diesmal hatte Jacobar die Schwierigkeiten


beizeiten erkannt und sogleich gehandelt. Freundlich tätschelte Sara


den braunen Kopf der Stute und sprach dem Tier Mut zu.




Bald war Jacobar zurück, in der einen Hand ein Stück graue Seife, in


der anderen einen Eimer mit dampfendem Wasser. Sara wusch sich zunächst


die Hände und schmierte sich dann beide Arme mit einer süß duftenden


Masse ein. Das Fohlen hatte sich glücklicherweise weder verdreht noch


steckte es fest; es versuchte nur, mit dem Steiß zuerst herauszugelangen.


Die Stute, die sich schon lange abmühte, war zu erschöpft, um allein


weiterzumachen.




Vorsichtig schob Sara ihren Arm in den Geburtskanal des Tieres. Sobald


sie die Hinterbeine des Fohlens ertastete, legte sie eine weiche Schlinge


um die zarten Hufe.




»Jetzt«, wies sie Jacobar an, nachdem sie ihm das andere Ende des Seils


gereicht hatte. »Bei der nächsten Wehe sanft ziehen. Ich helfe ihm,


den Weg zu finden.«




Vielleicht war es die Hilfe der Menschen, die Rose zu einem neuerlichen


Versuch ermunterte, ihr Kleines herauszudrücken. Während Jacobar zog


und Sara sanft mithalf, rutschte ein glänzendes, nasses Bündel heraus,


das in das Stroh glitt.




Sara befreite das Tier gleich von der Fruchtblase, schnitt die Nabelschnur


durch und wischte dem Fohlen die Nüstern aus. »Ein feiner Hengst«,


verkündete sie. Der junge Bauer strahlte vor Freude.




Rose kam auf die Beine und begann, ihren Sohn von der winzigen Nase


bis zum Stummelschwanz abzulecken.




Während Sara ihr zusah, bemerkte sie, wie sich Zufriedenheit in ihr


ausbreitete. Das half, um die Überreste des düsteren Traums zu zerstreuen,


der ihr immer noch im Kopf herumging. Sie streckte ihre schmerzenden


Muskeln und richtete sich langsam auf.




»Alles in Ordnung, Sara?«, erkundigte sich Jacobar mit einem Mal. Während


er sie im dämmrigen Lampenlicht ansah, malte sich Besorgnis auf sein


schlichtes Gesicht.




»Ja. Ich habe nur nicht gut geschlafen. Ein böser Traum.«




»Dann komm doch mit rein. Ich habe zwar keine Frau, aber ich kann uns


ein gutes Frühstück machen.« Ohne weitere Überredungskünste führte


er sie in sein Haus, wo er ihr eine reichhaltige Mahlzeit aus Maisküchlein,


Würsten, Eiern und geröstetem Brot vorsetzte. Sara stellte fest, dass


sie einen Bärenhunger hatte, und langte zu Jacobars Freude kräftig


zu, wobei sie ihm wiederholt zu seinen Kochkünsten gratulierte.




Als sie schließlich mit ihrem Lohn, einem Korb Eier, nach Hause ging,


war die Sonne hinter einer grauen Wolkendecke hervorgekrochen. Sara


ging es schon bedeutend besser.




Sie eilte durch das Dorf - jedenfalls versuchte sie es. Einige Leute


wollten erfahren, wie es Jacobars Stute ging. Andere winkten und grüßten,


denn hier freute man sich, wenn man Sara sah.




Sara hatte nichts dagegen, denn sie mochte die Dorfbewohner. Man hatte


sie bereitwillig akzeptiert, als sie vor sieben Jahren in das Dorf


gezogen war, und schon nach einer kurzen Zeit des Beschnupperns wusste


man ihre Fähigkeit, Tiere zu behandeln, hoch zu schätzen. Das Leben


in Connersby war hart und einfach, aber nach ihrem früheren Leben


wirkte es auch ruhig und angenehm.




Als Sara schließlich ihr eigenes Haus erreichte, machte sie die Tür


hinter sich zu und holte tief Luft. Der Morgen war eben erst angebrochen,


doch ihr kam es so vor, als hätte sie den halben Tag gearbeitet. Das


ungemachte Bett wirkte ausgesprochen einladend, aber es gab noch so


viel zu tun. Anstatt damit anzufangen, lehnte sich Sara an den Türrahmen


und betrachtete ihr Heim.




Bei der Hütte, die sie ihr Eigen nannte, handelte es sich um ein einfaches,


strohgedecktes Gebäude aus Stein und Holz mit zwei Zimmern, einer


Veranda und einer Feuerstelle. Der größere Raum diente ihr als Wohnzimmer.


Auf der einen Seite standen Bett und Kleidertruhe, auf der anderen


befand sich die Kochstelle, und in der Mitte war ein Tisch mit Stühlen.


Der zweite Raum enthielt ihre Kräuter und Medizinvorräte sowie den


Webstuhl. Vor vielen Jahren, scheinbar in einem anderen Leben, war


sie in einem ganz ähnlichen Bauerndorf Weberin gewesen. Bis ein Hauptmann


der Drachenarmee - Kitiara - in ihr Leben geplatzt war, um es für


immer zu verändern.




Tief in Gedanken versunken wanderte Sara zur Truhe hinüber und öffnete


sie, um zwischen den Kleidern und Leintüchern ein
Search
Profile
Guest
Style