Fanfic: Die Zauberschiffe
stand neben Jola,
Kennits derzeitigem Ersten Maat. Sorcors breites, vernarbtes Gesicht
strahlte vor Loyalität und Hingabe zu Kennit und vor Stolz über die
Fruchtbarkeit seiner Frau.
Alle zeigten offen den Reichtum, der aus ihren letzten Piratenzügen
stammte. Etta hatte sogar Wintrow ein weitärmliges Hemd aus blauer
Seide aufgeschwatzt, das sie selbst mit schwarzen Raben bestickt hatte.
Der treue Sorcor trug mittlerweile Smaragde in seinen Ohrlöchern,
und von seinem breiten Ledergurt mit eingelegter Silberarbeit hingen
zwei kostbare Schwerter herunter. Die Pracht der Stoffe, die Etta
trug, wurde von ihrer bemerkenswerten Schneiderarbeit noch unterstrichen.
Und wann hatte es jemals ein Gobelin bis an die Spitze eines Mastes
geschafft? Im Frachtraum befanden sich noch andere Schätze des Meeres:
seltene Medizin und exotische Parfumöle, Gold- und Silbermünzen, versehen
mit dem Antlitz vieler verschiedener Satrapen. Edelsteine, sowohl
ungeschliffen als auch zu wertvollem Schmuck verarbeitet. Fantastische
Steine und leuchtende Gobelins. Das Vermögen, das er jetzt in seinen
Laderäumen hatte, entsprach etwa der Ernte des gesamten letzten Jahres.
In letzter Zeit war die Jagd recht üppig gewesen, und noch nie war
ihnen die Piraterie so mühelos vorgekommen. Im Verein mit seinen Seeschlangen
musste Kennit nur noch ein interessantes Segel aufbringen. Blitz und
er wählten ihre Ziele aus. Dann schickte sie die Seeschlangen los.
Nach ein bis zwei Stunden Kampf mit den Seeschlangen gab ihre Beute
normalerweise auf. Am Anfang hatte sich Kennit dem bereits demoralisierten
Gegner genähert und verlangt, dass er seine ganze Fracht herausgab.
Die Mannschaften waren immer höchst unterwürfig gewesen. Ohne dass
auch nur ein Schwert gezückt wurde, gelang es Kennit, die Schiffe
zu schröpfen und sie dann ihres Weges zu schicken. Allerdings nicht,
ohne sie streng zu ermahnen, dass diese Gewässer ab jetzt die Provinz
von König Kennit von den Pirateninseln waren. Und er gab ihnen einen
Vorschlag an ihre Herrscher mit auf den Weg. Wenn sie daran interessiert
waren, gegen großzügig bemessene Zölle eine freie Fahrt durch sein
Territorium zu erhalten, wäre er zu Verhandlungen bereit.
Die beiden letzten Schiffe jedoch hatte er sich von den Seeschlangen
»holen« lassen. Die Viviace ankerte, während die Seeschlangen ihre
Opfer auf sie zu trieben. Der Kapitän des letzten Schiffs hatte auf
Knien kapituliert, während Kennit auf einem erhöhten Stuhl auf dem
Vordeck seines Schiffes thronte. Blitz genoss das kaum verhüllte Entsetzen
des Kapitäns bei ihrem Anblick. Nachdem sich Kennit aus dem Ladeverzeichnis
des Schiffes die besten Stücke herausgepickt hatte, schaffte die gefangene
Mannschaft die Waren auf die Viviace. Das Einzige, worum Kennit sich
jetzt noch kümmern musste, war, dass seine Mannschaft nicht müde oder
träge wurde. Von Zeit zu Zeit wollte er einen Sklavenhändler aufbringen,
damit die Mannschaft ihrem Bedürfnis nach Blutvergießen nachgehen
konnte. Außerdem konnte er so die Seeschlangen füttern und ihre Loyalität
ihm gegenüber steigern.
Faldins Botschaft war auf einem schnellen kleinen Boot namens Sprinter
überbracht worden. Obwohl Jola das Schiff erkannte und es zudem Kennits
Rabenfahne führte, hatten weder Kennit noch Blitz der Versuchung widerstehen
können, mit ihrer Macht zu prahlen. Die Schlangen waren ausgeschickt
worden, um das kleine Schiff einzukreisen und es zu Kennit zu geleiten.
Der Kapitän hatte sich wacker gehalten, als er Kennit begrüßte, aber
trotz seines Mutes hatte er nicht verhindern können, dass seine Stimme
zitterte. Der Bote war blass und still gewesen, als er das Deck der
Viviace erreicht hatte, denn er hatte sich in einer winzigen Nussschale
durch die glänzenden Rücken der Seeschlangen rudern lassen müssen.
Kennit hatte die Botschaft entgegengenommen und den Überbringer weggeschickt,
mit der Order, ihm einen »wohlverdienten Schluck Branntwein« zu verabreichen.
Jeder Mann auf der Sprinter würde zweifellos in Divvytown die Kunde
von Kennits neuen Bundesgenossen verbreiten. Es war gut, seine Feinde
mit dieser Zurschaustellung seiner Stärke zu beeindrucken. Noch besser
war es, dafür zu sorgen, dass seine Freunde es nicht vergaßen. Daran
dachte Kennit, als er langsam die Gesichter betrachtete, die ihn umgaben.
Sorcor runzelte die Stirn, während er angestrengt nachdachte. »Kannte
Faldin den Kapitän? Das sollte er eigentlich. Er kennt beinahe jeden
in Divvytown, und es braucht einen erfahrenen Mann, um ein Schiff
durch den Schlamm zu manövrieren, selbst bei Tageslicht.«
»Er kennt ihn«, bestätigte Kennit beiläufig. »Es handelt sich um einen
gewissen Brashen Trell aus Bingtown. Ich vermute, dass er letztes
Jahr auf der Springeve in Divvytown war. Zusammen mit dem alten Finney.«
Kennit tat, als betrachte er erneut die Botschaft. »Vielleicht ist
dieser Trell ja ein außergewöhnlicher Navigator mit einem exzellenten
Gedächtnis, aber Faldin vermutet, dass es mehr an dem Schiff gelegen
hat als an dem Mann. Es war ein Lebensschiff. Mit einem zerhackten
Gesicht. Es heißt Paragon.«
Wintrows Gesichtsausdruck verriet ihn. Seine Wangen hatten sich bei
der Erwähnung des Namens Trell gerötet. Jetzt stand er da, brachte
kein Wort heraus und schwitzte. Interessant. Es war unmöglich, dass
der Junge mit Sincure Faldin unter einer Decke steckte. Dafür hatte
Wintrow in Divvytown einfach nicht genug Zeit gehabt. Also handelte
es sich um etwas anderes. Er richtete den Blick auf den Jungen, lächelte
ihn freundlich an und wartete.
Wintrow wirkte erschüttert. Zweimal versuchte er, ein Wort herauszubringen,
bis es ihm endlich gelang, sich zu räuspern. »Sir?«, flüsterte er.
»Wintrow?« Kennits Stimme klang herzlich und hatte einen fragenden
Unterton.
Wintrow verschränkte die Arme vor der Brust. Welches Geheimnis versucht
er wohl, darin zu verschließen?, fragte sich Kennit. Als Wintrow schließlich
sprach, war er kaum zu verstehen. »Ihr solltet Faldins Warnung ernst
nehmen. Brashen Trell war der Erste Maat unter meinem Großvater, Kapitän
Ephron Vestrit. Vielleicht will er sich Euch wirklich anschließen,
aber das bezweifle ich. Er hat jahrelang an Bord der Viviace gedient
und empfindet vielleicht immer noch große Loyalität gegenüber den
Vestrits. Gegenüber meiner Familie.«
Bei den letzten Worten umfasste der Junge seine Oberarme unwillkürlich
fester. Das war es also. Wintrow war zwar Kennit gegenüber loyal,
empfand das aber als Verrat an seiner Familie. Interessant. Beinahe
rührend. Kennit verschränkte die Finger vor sich auf dem Tisch. »Verstehe.«
Ein leichtes Beben war durch das Schiff gelaufen, als der Junge den
Namen des alten Kapitäns ausgesprochen hatte. Das war noch interessanter
als Wintrows gespaltene Loyalität. Blitz behauptete, dass von der
alten Viviace nichts mehr übrig wäre. Doch warum zitterte sie dann,
wenn der Name des alten Kapitäns erwähnt wurde?
Alle schwiegen. Wintrow starrte auf den Rand des Tisches. Sein Gesicht
war unbewegt, und er biss die Zähne fest zusammen. Kennit beschloss,
seine letzte Information preiszugeben. Er seufzte. »Ah. Das erklärt
vielleicht auch die Anwesenheit von Althea Vestrit. Deserteure vom
Paragon behaupten, dass sie vorhat, mir die Viviace wegzunehmen.«
Erneut bebte das Schilf. Wintrow erstarrte und wurde kalkweiß im Gesicht.
»Althea Vestrit ist meine Tante«, sagte er leise. »Sie war eng mit
dem Schiff verbunden, noch bevor es erwachte. Sie hatte erwartet,
die Viviace zu erben.« Der Junge schluckte. »Kennit, ich kenne sie.
Zwar nicht gut und ich weiß auch nicht viel von ihr, aber was das
Schiff angeht, wird sie sich nicht von ihrem Kurs abbringen lassen.
Sie wird versuchen, die Viviace zurückzugewinnen. Das ist so sicher
wie der Sonnenaufgang.«
Kennit lächelte. »Durch einen Wall von Seeschlangen hindurch? Falls
sie das überleben sollte, wird sie bald feststellen, dass die Viviace
nicht mehr das ist, was sie einst war. Ich glaube kaum, dass ich deshalb
Grund zur Furcht habe.«
»Sie ist nicht mehr das, was sie einmal war«, wiederholte Wintrow flüsternd.
Sein Blick glitt in die Ferne. »Wer von uns ist das schon noch?«,
fragte er und schlug die Hände vors Gesicht.