Fanfic: Das Spiel der Götter 3

blickte auf. Ein Mann ganz in Schwarz beugte sich


über sie; sein Gesicht lag im Schatten seiner Kapuze. »Aber er hat


sie geschlagen«, sagte das Mädchen mit dünner Kinderstimme. »Und wir


müssen Netze knüpfen, Papa und ich …«


»Komm, ich helfe dir hoch«, sagte der Mann und schob seine langfingrigen


Hände unter ihre Arme. Er richtete sich auf und hob sie ohne jede


Anstrengung hoch. Ihre Füße in den alten Sandalen baumelten einen


Augenblick in der Luft, bevor er sie absetzte.


Nun erblickte sie einen zweiten Mann. Er war kleiner und ebenfalls


ganz in Schwarz gekleidet. Dieser Mann stand auf der Straße, und seine


Aufmerksamkeit galt anderen Dingen; er blickte in die Richtung, in


die die Soldaten verschwunden waren. Als er sprach, klang seine Stimme


dünn. »Kein besonders tolles Leben«, sagte er, ohne herüberzublicken.


»Sie hatte nur eine geringe Begabung, noch dazu eine, die schon lange


vertrocknet war … Oh, eine mehr hätte sie womöglich noch geschafft,


aber das werden wir niemals erfahren …«


Das Fischermädchen stolperte zu Riggas Sack hinüber und hob eine Kerze


auf. Sie reckte sich, und ihre Augen wirkten plötzlich hart. Dann


spuckte sie nachdenklich auf die Straße.


Der Kopf des kleineren Mannes fuhr zu ihr herum. Es sah aus, als würden


sich unter seiner Kapuze nichts als Schatten verbergen.


Das Mädchen wich einen Schritt zurück. »Es ist ein gutes Leben gewesen«,


flüsterte sie. »Sie hatte diese Kerzen, wisst Ihr. Fünf Stück. Fünf


Kerzen für …«


»Nekromantie«, warf der kleinere Mann ein.


Der größere Mann, der noch immer neben ihr stand, sagte sanft: »Ich


sehe sie, Kind. Und ich weiß, was sie bedeuten.«


Der andere Mann schnaubte. »Die Hexe hat fünf zerbrechliche, schwache


Seelen beherbergt. Nichts Bemerkenswertes.« Er legte den Kopf ein


wenig schief. »Ich kann sie hören. Sie rufen nach ihr.«


Dem Mädchen traten die Tränen in die Augen. Eine wortlose Qual schien


von dem schwarzen Stein in ihrem Geist aufzusteigen. Sie wischte sich


die Wangen ab. »Wo kommt Ihr her?«, fragte sie unvermittelt. »Wir


haben Euch auf der Straße gar nicht gesehen.«


Der Mann neben ihr drehte sich halb zu der Schotterpiste um. »Wir waren


auf der anderen Seite«, sagte er, und in seiner Stimme schwang so


etwas wie Erheiterung mit. »Wir haben gewartet, genau wie ihr.«


Der andere kicherte. »Auf der anderen Seite, in der Tat.« Er sah die


Straße entlang und hob die Arme.


Das Mädchen sog scharf die Luft ein, als es plötzlich dunkel wurde.


Ein lautes Geräusch – als würde etwas zerreißen – erfüllte für eine


Sekunde die Luft, dann löste sich die Dunkelheit auf. Die Augen des


Mädchens weiteten sich.


Sieben gewaltige Hunde saßen um den Mann auf der Straße herum. Die


Augen der Tiere leuchteten gelb, und alle blickten in die gleiche


Richtung wie der Mann.


Sie hörte ihn zischen: »Gierig, was? Dann los!«


Lautlos hetzten die Hunde die Straße entlang.


Ihr Herr drehte sich um und sagte zu dem Mann neben ihr: »Das wird


Laseen ein bisschen was zu knabbern geben.« Er kicherte erneut.


»Musst du die Dinge unbedingt komplizierter machen?«, fragte der andere


müde.


Der kleine Mann versteifte sich. »Sie sind in Sichtweite der Kolonne.«


Er legte den Kopf schief. Ein Stück weiter vorn auf der Straße erklang


schrilles Gewieher entsetzter Pferde. Er seufzte. »Bist du zu einem


Entschluss gekommen, Cotillion?«


Der andere grunzte amüsiert. »Da du mich mit meinem Namen angesprochen


hast, Ammanas, hast du ja wohl gerade die Entscheidung für mich gefällt.


Jetzt können wir sie wohl kaum noch hier lassen, oder?«


»Natürlich können wir das, alter Freund … sie darf nur nicht mehr atmen.«


Cotillion blickte auf das Mädchen hinunter. »Nein«, sagte er ruhig.


»Es wird schon gehen.«


Das Fischermädchen biss sich auf die Lippe. Immer noch Riggas Kerze


umklammernd, machte sie einen Schritt zurück. Ihre Blicke huschten


von einem Mann zum anderen.


»Schade«, sagte Ammanas.


Cotillion nickte leicht, dann räusperte er sich. »Es wird einige Zeit


dauern.«


»Haben wir die denn?«, wollte Ammanas mit einem amüsierten Unterton


wissen. »Zur wahren Rache gehört das langsame, vorsichtige Anschleichen


an das Opfer. Hast du die Qualen vergessen, die Laseen uns bereitet


hat? Sie steht schon mit dem Rücken zur Wand. Vielleicht wird sie


stürzen, ohne dass wir etwas dazu beitragen. Wo läge dann die Befriedigung?«


Cotillions Antwort war kühl und trocken. »Du hast die Imperatrix schon


immer unterschätzt. Deshalb sind wir jetzt auch in dieser Lage … Nein.«


Er deutete auf das Fischermädchen. »Wir brauchen sie. Laseen hat sich


den Zorn von Mondbrut zugezogen, und das ist so ziemlich das größte


Hornissennest, das es jemals gegeben hat. Der Zeitpunkt ist perfekt.«


Ganz schwach drangen zwischen dem angsterfüllten Gewieher der Pferde


nun auch die Schreie von Männern und Frauen an das Ohr des Mädchens;


die Geräusche schnitten ihr tief ins Herz. Ihre Blicke huschten zum


Straßenrand, wo die leblose Gestalt von Rigga lag, und dann zurück


zu Ammanas, der langsam auf sie zukam. Sie wollte fortlaufen, doch


ihre Knie waren weich und zitterten. Er trat ganz nah an sie heran


und schien sie sorgfältig zu mustern, obwohl die Schatten unter seiner


Kapuze undurchdringlich blieben.


»Du bist ein Fischermädchen?« Die Frage klang freundlich.


Sie nickte.


»Hast du einen Namen?«


»Das reicht!«, knurrte Cotillion. »Sie ist keine Maus, mit der du spielen


kannst, Ammanas. Außerdem habe ich sie ausgewählt, und daher werde


ich auch ihren Namen bestimmen.«


Ammanas wich einen Schritt zurück. »Schade«, sagte er noch einmal.


Das Mädchen hob flehend die Hände. »Bitte«, bettelte sie, an Cotillion


gewandt, »ich habe nichts getan! Mein Vater ist ein armer Mann, aber


er wird Euch alles geben, was er hat. Er braucht mich, und das Garn


… er wartet bestimmt schon auf mich!« Sie spürte, dass sie sich nass


gemacht hatte, und setzte sich schnell auf den Boden. »Ich habe nichts


getan!« Scham stieg in ihr auf, und sie legte die Hände in den Schoß.


»Bitte.«


»Mir bleibt keine andere Wahl, mein Kind«, sagte Cotillion. »Du kennst


jetzt unsere Namen.«


»Ich habe sie noch nie gehört«, schluchzte das Mädchen.


Der Mann seufzte. »In Anbetracht dessen, was gerade da vorn auf der


Straße passiert, wird man dich ausfragen, Kind. Und zwar auf sehr


unerfreuliche Weise. Es gibt nämlich Leute, die unsere Namen kennen.«


»Du musst wissen, Schätzchen«, fügte Ammanas hinzu und bemühte sich,


ein Kichern zu unterdrücken, »dass wir eigentlich gar nicht hier sein


sollten. Es gibt Namen – und es gibt Namen.« Er drehte sich zu Cotillion


um und sagte mit kalter Stimme: »Wir müssen uns um ihren Vater kümmern.


Mit meinen Hunden?«


»Nein«, sagte Cotillion, »er soll am Leben bleiben.«


»Wie dann?«


»Ich vermute, Gier wird ausreichen«, sagte Cotillion, »wenn erst einmal


reiner Tisch gemacht ist.« Die folgenden Worte troffen vor Sarkasmus.


»Ich bin sicher, du kannst den magischen Teil in dieser Angelegenheit


übernehmen, oder?«


Ammanas kicherte. »Hütet euch vor den Schatten, auch wenn sie Geschenke


bringen.«


Cotillion wandte sich wieder dem Mädchen zu. Er streckte die Arme zur


Seite aus. Die Schatten, die seine Gesichtszüge in Dunkelheit hüllten,


wogten nun um seinen ganzen Körper.
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