Fanfic: Die Nordland-Saga

Jacken


beim Schneider unten am Hafen.


Das Haus, in dem sie wohnten, war eine alte Wirtschaft, in der die


Kutscher übernachteten, ehe die Klansfehde begann und der Weg über


die Ebene zuwucherte. Hier hatten auch der Vater und Großvater des


Böttchers gewohnt und ihre Frauen und Kinder warm durch die Winter


gebracht. Wie seine Vorfahren hatte er eine große Familie, und in


diesem Sommer hatte seine Frau ihr viertes Kind, ein Mädchen, bekommen.


Die drei Söhne waren fast immer draußen, denn das kleine Kind war ein


richtiger Schreihals. Schon früh am Morgen arbeiteten sie mit ihrem


Vater in dem alten Stall, den sie als Werkstatt nutzten. Sie schlugen


Stäbe aus den Stämmen, die mit Schiffen von der Ostküste herbeigeschafft


worden waren, und spannten sie in den Schraubstock ein, damit sie


später in die Eisenringe passten. Sie nagelten Deckel und bohrten


Auslasslöcher und rollten die Tonnen dann durch die Gassen der Stadt


zu den Seeleuten, Bäckern und all den anderen Händlern Krugants. Des


Abends warfen sie Messer auf eine aus Heu gebundene Zielscheibe und


übten sich mit Pfeil und Bogen. Manchmal schlenderten sie auch zum


Hafen hinunter und lauschten den Geschichten der Seeleute oder sahen


zu, wie die Arer ihre Schwerter an den Vertäuungsketten der Schiffe


schliffen.


Meine Geschichte wird von dem ältesten der drei Söhne handeln, einem


Jungen, dreizehn Winter alt mit Namen Karain. Solange er sich erinnern


konnte, hatte er in der Werkstatt geholfen. Er hatte gelernt, wie


er die Holzbalken zuhauen musste, damit das Öl nicht aus den Tonnen


rann, wie er die Eisenbänder erhitzen musste, bevor er sie befestigen


konnte, und all das andere, das Böttcher wissen müssen. Der Vater


hatte mit diesem Jungen mehr Zeit verbracht als mit den beiden anderen


zusammen, denn er wollte, dass Karain der beste Handwerker in ganz


Krugant wurde. Ihr müsst verstehen, er wusste sehr wohl, dass sein


Sohn an keinem anderen Ort in die Lehre hätte gehen können, denn Karain


war mit nur drei Fingern an jeder Hand geboren worden. Seine Oberlippe


war gespalten, und sein ganzes Gesicht war wie bei einem Tier mit


Haaren bedeckt. Doch seine Augen waren blau wie der Himmel.


»Karain«, sagte der Vater, wenn der Junge über den Hobel gebeugt dastand.


»Leg dein Gewicht genau auf das Holz, dann wird der Schnitt gerader.«


Und wenn sie ihr Tagwerk beendet hatten und sich abends zum Essen um


den Tisch versammelten, während die Mutter Brei in die Schalen goss,


lobte er ihn und sagte, sodass alle es hören konnten:


»Heute warst du aufmerksam, Karain. Du hast das Handwerk in deinen


Händen.«


Ich erzähle euch das, damit ihr versteht. Es war keine Boshaftigkeit,


die den Böttcher und seine Frau zu dem trieb, was sie später taten.


Ich erinnere mich an den folgenden Tag. Karain und seine Brüder hatten


beim Schmied Eisenbänder geholt und stiegen den steilen Segeltrockenhang


im Osten der Stadt empor. Wie gewöhnlich trug er die schwerste Last,


so wie es sich für den ältesten Sohn gehörte. Er kämpfte damit, die


schweren Bänder auf seiner Schulter zu halten, ehe seine Krallenfinger


den Halt verloren. Oben auf dem Hang, von wo aus man eine gute Sicht


über die Stadt und den Hafen hatte, setzte er seine Last ab. Er konnte


die Schiffe sehen, die Mole und das endlose Meer. Zwei Kretter gingen


vorbei, warfen einen Blick auf ihn und murmelten sich etwas in ihrer


Sprache zu.


Karain kümmerte sich nicht darum und richtete seinen Blick zum Himmel.


War das dort oben ein Rabe? Das schwarze Kreuz schwebte hoch über


der Stadt.


»Schaut mal!« Er deutete nach oben.


»Ein Krah«, sagte Mir und blinzelte zum Himmel. Der jüngste der Brüder


verwendete noch immer für fast alles seine Kinderausdrücke. Er lächelte


unter seinem Pony hervor und vergrub die Hände in den Taschen seiner


Friesjacke.


»Rabe!« Arga kratzte sich am Kopf und lachte. »Das heißt Rabe.«


Karain beobachtete die beiden. Arga hatte genauso dunkle Augen wie


Mir, aber er war zwei Jahre älter. Erst vor kurzem hatten sie seinen


zehnten Geburtstag gefeiert und Vater hatte ihm so eine bestickte


Lederweste geschenkt, wie sie die Erwachsenen tragen. Arga hatte sie


heute angezogen, und Karain hätte wetten können, dass sein Bruder


sehr stolz war. Jetzt flüsterte er Mir, wie sooft, etwas zu. Die beiden


hatten so viele Geheimnisse. Er fühlte sich dann immer ein wenig als


Außenstehender. Arga legte Mir die Hand auf die Schulter, zeigte zu


dem Raben empor und lachte. Karain blickte wieder zum Himmel. Als


ob der schwarze Vogel zum Lachen wäre! Der Rabe kreiste nach unten


und ließ sich dann von der Luft über den Hafen tragen. Dort scheuchte


er ein paar Möwen auf und setzte sich schließlich auf den steinernen


Kopf. Mit den Möwen flogen auch die anderen Seevögel auf, und unzählige


Flügel flatterten um die Masten herum.


»Geht schon mal heim! Ich möchte hier noch eine Weile bleiben.« Karain


forderte seine Brüder mit einem Wink auf zu gehen. Arga war es langsam


leid, dass immer er bestimmte, doch noch taten sie, was Karain sagte.


Sie schulterten die Eisenbänder und machten sich auf den Weg. Karain


wandte sich wieder dem Meer zu. Die Seevögel kreisten jetzt in einem


großen Schwarm. Eine Schar schwarzrückiger Papageientaucher, gefleckte


Raubmöwen, weiße Basstölpel und Möwen. Ja, er kannte sie alle. Oft


ging er auf die Mole hinaus und sah von dort aus stundenlang zu, wie


die Seevögel über dem Wasser kreisten.


Karain folgte ihnen mit den Augen. Sie flogen im Bogen über die Schären,


die gerade eben aus dem Wasser ragten, und landeten rechts von der


Mole auf dem Strand. Der Rabe blieb alleine auf Krugs steinernem Kopf


zurück.


Der Schlag traf seinen Arm. Er stolperte über die Eisenbänder nach


vorn in den trockenen Pferdemist. Eine Reihe von Beinen erhob sich


vor ihm, einige waren nackt, andere von ledernen Hosen verhüllt. Sie


kreisten ihn ein, und während er sich aufrappelte, wurde das erwartungsvolle


Lachen lauter. Er wusste, was geschehen würde. Wie konnte er nur so


dumm sein, Arga und Mir nach Hause zu schicken!


»Federnase guckt sich wieder die Vögel an!« Der Sohn des Bäckers trat


vor. Er war dick und hatte rote Backen, genau wie sein Vater. Seine


fetten, weiß wie Speckwürstchen glänzenden Unterarme zitterten vor


freudiger Erwartung, als er sie in die Hüften stemmte und grinste.


Die anderen lachten. Karain sah sie an. Es waren immer die Gleichen.


Die vier Seilmacherbrüder und die Söhne vom Goldschmied und Muru.


»Hab ich dich nicht gebeten, einen Sack über dein scheußliches Gesicht


zu ziehen?« Der Bäckersohn kam breitbeinig auf ihn zu, das machte


er immer so. Karain antwortete nicht; er sah zwischen ihnen hindurch


und hoffte, irgendwo in der Nähe Arer oder Kelsmänner zu erblicken.


Falls sie es denn gewagt hätten, gegen die Söhne der Männer des Laag


einzuschreiten.


»Antworte!« Der Bäckersohn ballte die Faust und hob sie drohend vor


ihm in die Höhe. Karain beugte sich hinunter, um die Eisenbänder aufzuheben,


und als der Schlag seinen Rücken traf, hockte er sich hin und zog


seinen Körper zu einem harten Bündel zusammen. Er ließ die Tritte


und Schläge auf sich einprasseln, und als es endlich vorüber war,


hielt er sich die Hände vor die Ohren, um das höhnische Gelächter


nicht hören zu müssen. Erst als sich die Schritte nach unten entfernten,


öffnete er die Augen und rollte sich auf den Rücken. Sie schlugen


nicht so hart, wenn er sich nicht wehrte. Das Gelächter und die Hänseleien


waren das Schlimmste. Er atmete aus. Vater hatte gesagt, dass er sich


darum nicht kümmern sollte. Sie würden damit aufhören, wenn sie erst


älter wären, meinte er. Karain wusste, dass er sich irrte. Der Sohn


des Bäckers war schlecht. Er mochte es, andere leiden zu sehen.
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