Fanfic: Erst der Lover, dann das Vergnügen

Chapter: Erst der Lover, dann das Vergnügen

Erst der Lover, dann das Vergnügen




1




Ich fange immer mit einer Liste an.




Die von heute habe ich auf eine alte Glückwunschkarte gekritzelt:




Klamotten / Schuhe etc.




Bücher - Biograph. Keine Romane




Auto- / Ingenieurzeitschriften




Hölzerne Kleiderbügel




Hanteln




Hosenpresse




Ich hebe Karten auf (ich hebe fast alles auf), allerdings nicht sehr


ordentlich. Ich stopfe sie wie alles Papier, das nicht sofort in den


Mülleimer wandert, irgendwohin, wo sich noch ein kleines passendes


Eckchen findet. Diese hier habe ich aus einem Stapel auf meinem Nachttisch


gezogen, eingeklemmt zwischen Der schnelle Weg zum flachen Bauch!


und Wilde Schwäne.




Auf der Karte steht ein Gedicht.




Rosen sind rot




Veilchen sind blau,




Was bräuchte ich mehr,




Als Dich liebe Frau?




Obwohl echte Blumen noch nie wirklich Richards Ding waren, dachte er


immerhin an Karten. Hauptsächlich Kitschkarten (die hier ist ein Arrangement


aus Herzen, Blumen, Bändern und etwas, das aussieht wie Mäusekacke,


aber wahrscheinlich Knospen sein sollen, und das alles begraben unter


einer Schicht aus silbrigem Geglitzer), aber persönliche, die seine


eigene sentimentale, wenn auch ziemlich hölzerne Art widerspiegelten.


Und da steht noch mehr: Für meine wundervolle Gattin zu unserem Hochzeitstag.


Ich liebe Dich für immer und ewig. Kuss, Kuss, Kuss. Ziemlich alte


Karte. Zwei oder drei Jahre. Aber nicht älter, glaube ich, denn vor


vier Jahren haben wir den neuen Teppich gekauft.




Ich habe die Liste jetzt intus, also zerreiße ich sie und werfe sie


weg.




Ein Frühjahrsputz im Schlafzimmer unterscheidet sich vollkommen vom


Saubermachen in, sagen wir mal, der Küche. Wenn man seine Küche putzt,


reißt man einfach alle Schubladen und Schränke auf, schmeißt alles


weg, was aussieht, als ob ein Biolabor es gut brauchen könnte, schrubbt


ein wenig an verkrusteten Rändern herum und stopft dann alles wieder


zurück. Aber im Schlafzimmer ist es ein ewiges Anfangen, Aufhören,


Betrachten, Prüfen, Erinnern, wehmütig Lächeln, Bedauern, wieder Anfangen,


wieder Aufhören. Und ziemlich viel Dreck, ganz ehrlich gesagt, vor


allem, wenn man so schlampig ist wie ich. Für mich ist der Frühjahrsputz


einfach eine Zusammensetzung völlig zusammenhangsloser Wörter; etwas,


das passiert, wenn man mit dem Staubwedel herumrennt und es zufällig


April ist.




Aber heute mache ich richtigen Frühjahrsputz. Neben dem Staubsauger


und einem Lappen aus einer alten Hose (eine Spezialität meiner Mutter),


habe ich mich mit Möbelpolitur, Müllsäcken, einer Reihe von Kartons,


Aufklebern, Tesafilm und Tüten ausgerüstet. Ich wollte mir eigentlich


noch ein Käsebrot als Snack mit nach oben nehmen, damit ich meine


Arbeit nicht unterbrechen muss, aber wir hatten kein Brot mehr. Das


ist übrigens bezeichnend für meine allgemeinen Qualitäten als Hausfrau.


Wenn ich so um mich blicke, muss ich feststellen, dass mein Schlafzimmer


mir immer ähnlicher sieht - alles gut gemeint, aber leicht chaotisch.


Das liegt daran, dass meine Besitztümer sich langsam aber sicher,


als wären sie selbstständig, im ganzen Zimmer breit machen. Zum Beispiel


standen oben auf der Kommode früher nur eine Lampe (scheußliches Hochzeitsgeschenk),


ein Foto (Richard und die Kinder, von mir) und eine Menge Kleingeld,


jetzt sieht es eher aus wie bei Hempels unterm Sofa: ein Meer aus


verschiedensten, zusammengeknüllten Socken, Nylonstrümpfen und ausgefransten


Unterhosen und mittendrin zwei leere Weingläser, die verzweifelt nach


Luft schnappen.




Mann, mein Gerümpel ist einfach überall. Ich muss mich wirklich am


Riemen reißen und was davon wegwerfen. Leider hat mir mein innerer


Schweinehund zugeflüstert, dass ich schon bald eine ganze Menge mehr


Platz haben werde, und daher sind meine guten Vorsätze, den zur Verfügung


stehenden Wohnraum strikt und vernünftig zu managen, schon wieder


ins Wanken geraten.




Ich wende mich dem zweiten Nachttisch zu und wuchte ein paar Tonnen


Motorwelt und Der Ingenieur von heute in einen Karton, dem ich einen


ordentlichen Aufkleber Zeitschr. verpasse. Dann ziehe ich die Schublade


auf und betrachte ihren Inhalt: eine gebundene Biographie, ein Päckchen


Aspirin, ein Alkaseltzer - nur eins, noch schön verpackt. Keine Karten,


keine Papierschnipsel. Keine Büroklammern, Knöpfe, Zettel von der


Reinigung. Nichts, das ihn menschlich und real erscheinen ließe. Es


ist einfach so erbärmlich.




Er geht heute. Vielleicht sollte ich ihm ein Gedicht schreiben.




Chrysanthemen sind düster




Lilien stinken




Dich Kotzbrocken zurück?




Wie tief soll ich sinken?




Ich erlaube mir fünf Minuten der Schwäche, weine und packe dann den


Rest.




2




Aber im Großen und Ganzen habe ich die Heulerei schon hinter mir. (Hätte


mir allerdings denken können, dass es wieder losgeht, wenn ich anfange,


im Schutt der letzten fünfzehn Jahre zu wühlen. Wahrscheinlich hätte


ich auch geweint, wenn ich den Knopf meiner alten Jasper-Conran-Jacke


gefunden hätte.)




Genau genommen verließ mich Richard heute auch nicht, denn er war schon


vor elf Wochen gegangen. Er holte nur seine Sachen ab. Und verlassen


ist auch nicht das richtige Wort, denn eigentlich ist er rausgeschmissen


worden. Von mir. An einem Donnerstag - oder, wenn man genau sein will,


in den frühen Morgenstunden eines Freitags. In der Nacht, als wir


für die Cefn Melin Grundschule Geld auftreiben wollten und eine Familien-Disco


veranstalteten.




»Muss ich da mitmachen?«, fragte er mich klagend. »Ich habe Freitag


früh um acht Uhr dreißig ein Meeting mit dem Stadtrat. Bitte. Ich


kann wirklich gut darauf verzichten.«




»Aber du hast versprochen, die Bar zu übernehmen.« Es war die bekannte


Leier. Er hatte es versprochen. Vor einer Woche und vor gut zwei oder


drei Zeugen. Ich musste mich immer öfter auf Zeugen berufen. Seit


der Vertrag für den Tower 2000 ein Teil unseres Lebens geworden war,


wurde Richard in mancher Beziehung einfach zu Freiwild, um das sich


Immobilienmakler, Steinmetze und Aufseher stritten, während das Hotel,


das Richards Firma hochziehen sollte, sich langsam und träge aus der


Bucht von Cardiff erhob.




Aber zurück zu unserem Haus, wo ein paar Stunden nach der Disco der


harte Kern des Elternbeirats noch auf den Sofas und dem Boden herumhing,


einige schon recht angeschlagen. Man muss sich folgende Szene vorstellen:


Moira Bugle mit ihrem Hinterteil auf dem Teppich, bei dem Versuch,


dem CD-Spieler seine Geheimnisse zu entlocken. »Habt ihr denn gar


keine Platten mehr?« und »Irgendwie achtet niemand mehr auf den Text.


Immer nur dieses Gedröhne, bei dem einem die Zähne im Mund wackeln.


Tut mir leid, aber Ivor Novello oder dieser John Denver sind eher


meine Wellenlänge.




»Die sind beide tot!«




»Und was ist mit Tom Jones, meine Liebe? Oder diese Neuen da. Das sind


wirklich nette Jungs, Jobson und Jerome. Julia, wie steht`s damit?


Hast du was … nein, wahrscheinlich nicht. Sei lieb, Derek, und hilf


mir auf die Beine.«




Und Rhiannon De Laney. Wie soll ich diese Schlampe am besten beschreiben?


Aus meiner Sicht ist Schlampe natürlich genau das richtige Wort. Aber


wenn ich mal ganz objektiv bin (und ich bin mir sicher, dass ich irgendwo


ein Buch rumliegen habe, das mir rät, genau das zu sein, als Teil


des Heilungsprozesses), dann müsste ich sie in die Über-dem-Durchschnitt-bis-schön-Kategorie


stecken, aber nur, wenn man auf diesen Typ steht. Groß (sie hat diese


Art von nach hinten faltbaren Flamingo-Beinen), schlank, rotbraunes


und volles Haar, große Nase (plus Haken), große Augenbrauen, große


Lippen. Eigentlich richtig eklige Lippen, wie Nacktschnecken. Sie


trägt immer Lippenstift und malt dann diese braune Linie außen herum,


was total bescheuert aussieht. In einer von diesen Zeitungsbeilagen


- vielleicht in Depth? - habe ich mal gelesen, dass diese braunen


Linien jetzt völlig »out« sind. In dem Artikel waren viele Bilder


von uncoolen Berühmtheiten (meist miserable Sternchen mit Dauer-Make-up


aus billigen Fernsehserien), und im Text stand, wie beschränkt sie


aussahen. Hah! Das gefällt mir! Hah! Obwohl ich auf der anderen Seite


letzte Woche meinen Freund Colin angerufen habe, und er sagt, dass


Männer eigentlich große Lippen ganz gerne mögen, weil sie dann an


große … denken und glauben, dass die Frau ihnen dann auch einen guten


Monica Lewinski machen kann. Was mich ein bisschen deprimiert. Meine


Lippen sind nur durchschnittlich dick, und ich habe einmal gehört,


dass Collagenspritzen in die Lippen zum Schmerzhaftesten gehören,


was einer Frau außer der Geburt und Nierensteinen passieren kann.




Jedenfalls sollte das als Beschreibung genügen. »Groß, schamlos und


sieht aus, als würde sie nur darauf warten«, hat Moiras Derek Rhiannon


einmal
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