Fanfic: Die brennende Gasse

daß sie sich vor ihm fürchtete.


Das war eine beklagenswerte Erkenntnis, die ihn mit Scham erfüllte.


Sie hatte versucht, ihn vor Entdeckung zu schützen und mit der Gabe


des Buches zu erfreuen. Sein Zorn verrauchte. »Nun gut. Was geschehen


ist, ist geschehen«, meinte er resigniert. »Jetzt muß ich mir überlegen,


wie ich antworte.«




Kate warf die Decke ab und stand von ihrem Lager auf. Sie zitterte


in ihrem dünnen Hemd. Im Dunkeln fand sie ihr Umschlagtuch und legte


es sich eng um die Schultern. »Warum überhaupt etwas tun?« flüsterte


sie. »Warum ihn nicht einfach ignorieren - die Tür ist stark genug.


Schließlich wird er aufgeben und weggehen.«




Wieder ertönte ein Klopfen, noch dringlicher. Sie lehnten sich ganz


eng zusammen.




»Wo soll er denn hin, wenn er verfolgt wird?«




»Dann müssen wir ihm öffnen und ihn abweisen!« antwortete sie kaum


hörbar.




»Und wenn er nicht so leicht abzuschrecken ist?«




»Ich werde ihm mitteilen, daß ich nicht helfen kann. Sicherlich wird


er nicht endlos darauf beharren.«




Das Klopfen wurde noch lauter, die Stimme flehte dringend. »Hebamme


- ich bitte Euch, öffnet mir! Ich will Euch nichts antun… es geht


um Euer Erbarmen!«




»Einen Moment, Herr!« rief Kate zurück. Nachdem sie sich dergestalt


bemerkbar gemacht hatte, gab es keine Möglichkeit mehr für irgendwelche


Täuschungen.




Sie ignorierte den erstaunten Ausdruck auf Alejandros Miene. »Er spricht


wie ein gebildeter Mann, kann also kein Rohling sein.«




»Das ist keine Garantie dafür, daß er uns keinen Schaden zufügen wird


- oder uns verraten. Ein Bauer weiß wahrscheinlich nicht, daß wir


gesucht werden. Aber ein gebildeter Mann könnte es wissen.«




Sie sprachen hastig und voller Panik. »Aber warum dann diese List -


warum uns nicht einfach ergreifen ohne lange Umstände?«




Eine Verletzung - Arbeit für seine Hände! Gegen sein besseres Wissen


stiegen alle heilenden Instinkte des Arztes in Alejandro auf. In letzter


Zeit schienen seine Hände vor Sehnsucht nach dem Werk des Heilens


häufig zu zittern. Und es bestand durchaus die Möglichkeit, daß der


Mann wirklich Hilfe brauchte.




Bei diesem Gedanken begann Alejandros Herz beinahe zu singen.




Er nickte in Richtung Tür und flüsterte: »Möge Gott geben, daß wir


dies nicht bereuen werden.«




Weiteres Klopfen, erneut der flehende Ruf: »Hebamme!«




»Legt Euch auf Euer Lager, Père«, drängte Kate, »und zeigt Euch nicht


gleich. Laßt mich der Sache nachgehen.«




»Ich kann nicht zulassen, daß du diesem Mann allein gegenübertrittst…«




»Seid ruhig, ich bitte Euch inständig! Er rechnet mit einer Hebamme,


und wir werden ihm eine solche präsentieren. Tut so, als wärt Ihr


krank - wenn ich Eure Hilfe oder Euren Rat brauche, werde ich sagen,


daß ich nach Euch sehen muß. Dann knie ich mich neben Euch nieder,


und wir können miteinander flüstern, ohne daß er uns versteht.«




»Nun gut«, antwortete er leise. »Seit wann bist du so tapfer und schlau?«


Er drückte sie für ein paar Augenblicke an sich, spürte ihre kostbare


Wärme und sehnte sich schmerzlich nach dem kleinen Mädchen von einst.


»Möge Gott uns beschützen.« Widerstrebend ging er zu seinem Bett.




Was sie im flackernden Licht der erhobenen Kerze anstarrte, war nicht


der Teufel, den sie erwartet hatte, sondern das erschöpfte Gesicht


eines Mannes, den sie noch nie gesehen hatte, weder in dem nahen Dorf


Meaux noch bei ihren letzten Touren nördlich von Paris. Kate war sicher,


daß sie sich an so auffallende Züge erinnert hätte - aber es handelte


sich um einen Unbekannten.




Die Silhouette des überraschenden Besuchers füllte den Türrahmen, und


sie konnte sein Bedürfnis einzutreten spüren; aber standhaft versperrte


sie ihm mit wundersamem Mut den Weg. Ein Blick im Kerzenschein sagte


ihr, daß der Mann jünger war als Père, aber älter als sie selbst.


Er besaß intelligente, wachsame Augen und eine hohe Stirn. Und obwohl


seine Kleidung nicht ärmlich wirkte, war sie unordentlich und schmutzig,


ebenso wie sein Haar. Das mußte ein Handgemenge bewirkt haben.




Sie erwiderte seinen unnachgiebigen Blick ebenso entschlossen. »Herr,


der Apotheker hat meine Fähigkeiten übertrieben, und ich kann nicht…«




Aber er ließ sich nicht abweisen und stieß sie beiseite. Auf der Trage


zwischen zwei Stangen, die er über die Schwelle zerrte, lagen zwei


Gestalten - eine schwere Bürde selbst für einen Herkules.




»Helft mir mit diesen Verwundeten!« befahl er.




Sie ignorierte seine Forderung und ließ ihn nicht aus den Augen, als


er sich über seine Gefährten beugte, von denen einer zu stöhnen und


sich zu winden begann. »Karle…«, rief der verwundete Soldat in seinem


Schmerz. »Hilf mir, Karle… ich schaffe es sonst nicht!«




Der Fremde winkte gebieterisch mit der Hand. »Bringt das Licht - hier


kann man ja gar nichts sehen!«




Kate hielt mit einer Hand ihre Kerze hoch, während der Fremde die Decke


wegzog, die beide Männer bedeckte, und als sie das Entsetzliche darunter


entdeckte, schickte sie ein verzweifeltes Stoßgebet zum Himmel. Beide


Männer trugen zerrissene, schmutzige wollene Kleider, die blutgetränkt


waren. Auf den ersten Blick konnte sie nicht sagen, ob beide bluteten


oder nur einer, und von wem das Blut stammte.




»Lieber Gott im Himmel«, rief sie, »hat es eine Schlacht gegeben?«


Und dann, mit tieferer Angst in der Stimme, schaute sie den Mann namens


Karle entsetzt an und fragte: »Sind Engländer in der Nähe?«




Der Fremde meinte mit einem argwöhnischen Blick: »Hebamme - ich schwöre,


Ihr seid zu jung, um diesen Titel zu tragen -, es waren nicht die


englischen Hunde, die den guten Zweien hier das angetan haben, sondern


die Streitkräfte von Charles von Navarra, ebenfalls Franzosen!«




Während Erleichterung sie durchströmte, hörte Kate, wie Alejandro von


seinem Strohlager leise ihren Namen rief. Der Fremde Karle drehte


seinen Kopf rasch dorthin, woher der Ruf kam. Seine Hand fuhr sofort


an ein Messer, das er am Gürtel trug.




»Das ist mein Vater«, erklärte sie rasch. »Er hat eine schwere Krankheit!«


Und ehe Karle protestieren konnte, eilte sie an Alejandros Seite und


kniete neben ihm nieder.




»Sei vorsichtig«, flüsterte Alejandro, »das ist gefährlich…«




»Was soll ich tun? Er sagt, daß keine Engländer hier sind.«




»Wir können nicht wissen, was Edwards Agenten alles treiben.«




Einer der Verletzten begann zu jammern. Kate drehte sich um, um zu


ihm zurückzukehren, aber Alejandro faßte sie an ihrem Umschlagtuch


und hielt sie fest. »Warte!« gab er leise Anweisung. »Tu nichts, sondern


beobachte ihn vorläufig.«




»Hebamme!« rief Karle. »Was hält Euch auf? Ihr müßt sofort kommen!«




Sie wandte sich ihm zu und zeigte auf den Liegenden: »Mein Vater…«




Doch die Schreie der Verwundeten - ihre Schmerzen, das quälende Wissen,


daß sie von den Schwertern ihrer eigenen Landsleute gefällt worden


waren - übertönten ihre Worte. Schließlich konnte Alejandro es nicht


mehr ertragen. Unter gemurmelten Flüchen warf er seine Decke ab und


erhob sich von seinem Lager. Er ging direkt auf die beiden Leidenden


zu und bückte sich zu ihnen nieder. »Leuchte mir!« sagte er. Kate


hielt die Kerze so, daß ihr Schein dahin fiel, wo er ihn brauchte.




Karle starrte er auf den Arzt und dann auf die Tochter. »Ihr untertreibt


Eure Fähigkeiten«, knurrte er. »Bei Eurem leidenden Vater habt Ihr


anscheinend ein Wunder vollbracht, Hebamme!« Den Titel sprach er mit


unverhohlener Verachtung aus. »Aber vielleicht sollte ich diesen Herren


so anreden und nicht Euch.«




Alejandro unterbrach die Untersuchung der stöhnenden Krieger und stand


abrupt auf. Er streckte eine blutige Hand aus, und da Kate ihm jahrelang


assistiert hatte, wußte sie, daß ihr père ein Tuch wollte. Sie reichte


ihm eines, er wischte sich das Blut von den Händen und stellte sich


dicht vor dem Jüngeren auf. »Redet mich an, wie Ihr wollt«, warnte


er ihn, »aber sprecht nicht in diesem Ton mit meiner Tochter!«
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