Fanfic: Doppelleben - Kapitel 11
nicht mehr zu.
Fieberhaft suchte er nach einem Weg aus dieser verzwickten Situation. „Wir haben kein Geld.“, unterbrach er schließlich den Wortschwall des Schaffners. Irritiert sah dieser ihn an. „Wie bitte?“
„Ich sagte“, schluckte Lars, „wir haben kein Geld!“
Nur kurz sah der Schaffner ihn an, dann meinte er: „Dann muss ich sie bei der nächsten Station leider rauswerfen.“ Erschrocken sprang Lars auf. „Nein! Nein...“ Unerbittlich schüttelte der Mann den Kopf. „Es tut mir leid, aber so sind die Regeln. Außerdem können sie von Glück reden, dass ich kein Strafgeld von ihnen kassiere oder wenigstens ihre Personalien aufnehmen, denn zu solch einem Stress habe ich heute absolut keine Lust! Aber vielleicht überlege ich es mir ja anders, wenn sie weiter so einen Aufstand machen!“, drohte der Schaffner.
„Aber...ich...wir müssen nach München! Unbedingt! Das ist wichtig, verflucht noch mal!“ Verzweifelt suchte Lars nach Worten. „Ja, ja. Das sagen sie alle!“, winkte der Mann in Uniform locker ab.
Plötzlich ging alles ganz schnell. Lars schlug dem Schaffner auf den Kopf, Alexandra sprang schreiend auf und der Schaffner stolperte rückwärts, während seine Utensilien klappernd auf dem Boden aufschlugen, und fiel nieder. Doch Lars hatte nicht mit der Widerstandsfähigkeit der Mütze des Mannes gerechnet, eigentlich hatte er erwartet, dass der Schaffner nun ohnmächtig war.
Doch der rutschte panisch von Lars weg und wühlte in seinen Taschen, bis er einen Revolver hervorzog und ihn zitternd auf Lars hielt. „Keine Bewegung!“, brüllte der Mann und fuchtelte mit der Waffe hektisch in der Luft herum.
„Verdammt, Mann! Wieso zur Hölle hat ein Schaffner eine Pistole?“, rief Lars völlig überrumpelt und hob aus einem Instinkt heraus die Hände über den Kopf. Ihm wie auch Alexandra war die Angst ins Gesicht geschrieben. Sie hatte sich wieder auf die Sitzbank fallen gelassen und drückte sich nun verstört in eine Ecke.
„Wieso?“ Keuchend richtete sich der Schaffner wieder auf. „Weil ich genau wusste, dass eines Tages so ein Irrer kommen und auf mich einschlagen würde! Und wie du siehst, kann mir in so einer Situation nur mein kleines Baby hier helfen!“ Mit einem irren Grinsen streichelte der Mann den Lauf seines Revolvers.
Mit diesen Worten wuchs Lars Angst noch mehr, denn er hatte es hier offensichtlich mit einem geistlich nicht mehr ganz gesundem Mann zu tun. Überdeutlich nahm er jedes Detail war.
Einige Strähnen des sonst anscheinend glattgekämmten, gräulichen Haares hatten sich aufgrund des Schlages von ihrer eigentlichen Bestimmung, dem Bedecken der Blöße des Kopfes, abgewandt und fielen nun vornüber in das Gesicht des Mannes.
Ohne ihnen besondere Beachtung zu schenken, was sonst sicher gegenteilig der Fall war, bettete der Schaffner sie wieder an den ihnen ursprünglich zugedachten Platz zurück, damit seine dunklen, gehetzt hin und her zuckenden Augen, die unter buschigen Augenbrauen hervorstachen, freie Sicht hatten.
Während er mit seiner Hand durch den breiten und wie sein Haar angegrauten Schnurrbart fuhr, der seinen kleinen, halbgeöffneten Mund kontrastierte, in dem für einen Moment gut gepflegte und regelmäßige Zähne zu erblicken waren, rümpfte er kurz die dickliche Nase.
„Siebzehn Jahre lang immer und immer wieder von einem Ende des Zuges bis zum Anderen rennen und dabei immer schön freundlich nach den Fahrkarten fragen!“, setzte er an, doch Lars unterbrach ihn, indem ihm ein „Freundlich?“ entfuhr.
„Halt dein Maul!“, brüllte ihn der Mann an, wobei feine Speicheltropfen durch die Luft segelten. „Und dann diese jungen Leute!“, setzte er seine Rede fort. „Bezahlen? Bezahlen? Wofür sollen wir denn bezahlen? Die Bahn hat doch genug Geld! Als wenn ich etwas dafür könnte! Ich tue doch nur meinen Job, verdammt! Da kann ich ja wohl ein bisschen Respekt erwarten! Und was machen diese Flegel? Mich beschimpfen, bepöbeln und sich über mich lustig machen! Siebzehn Jahre lang!
Weißt du wie das ist? Weißt du wie das ist?“ Lars schüttelte den Kopf und vermied jede weitere unnötige Bewegung. „Wie sollst du es auch wissen können? Du bist schließlich einer von ihnen! Ich habe es so satt! So verflucht satt! Aber ich habe ja geahnt, dass diese Bande von Gören eines Tages selbst vor Gewalt nicht mehr zurückschrecken wird und mir das letzte bisschen Respekt raubt.“ Mit einem Male fing der Schaffner wieder an zu brüllen. „Und du hast mir fast das letzte bisschen Respekt geraubt, verdammt noch mal! Aber!“, wedelte er mit der Waffe herum, „Aber ich habe mein Gesicht gerade noch gewahrt! Dank meinem Baby! Denn ich habe ja geahnt, dass die Gören eines Tages auch vor der Gewalt nicht mehr zurückschrecken würden...“ Gedankenverloren betrachtete er den Revolver, während er ihn vorsichtig streichelte.
Lars nutzte den Moment der Unaufmerksamkeit und trat dem Schaffner die Waffe aus der Hand. Während der Mann sich schreiend vor Schmerzen die Hand hielt, schnappte sich Lars Alexandras Arm und zog sie an dem in die Knie gegangenen Schaffner vorbei.
Sie stürmten hintereinander den Gang hinauf bis zum Ende des Abteils, wo Lars die Schiebetür aufriss. Während sie sich in dem kleinen Raum mit den Türen nach draußen aufhielten, da Lars verzweifelt versuchte, die Schiebetür dazu zu bewegen, ihnen den Weg frei zu machen, schloss Alexandra die Tür, durch die sie gerade gekommen waren und versuchte panisch keuchend durch das Glasfenster der Schiebetür den Schaffner auszumachen.
In dem Augenblick, in dem die Schiebetür unter Lars Händen endlich nachgab, erblickte Alexandra den Schaffner, der mit dem Revolver in der Hand auf den Gang hastete. Noch während sie schrie und sie von Lars gepackt und hinter ihm her in das nächste Abteil gezerrt wurde, entdeckte der Schaffner die Beiden und riss die Waffe hoch. Noch in der Bewegung drückte er ab. Ein ohrenbetäubender Knall hallte durch den Zug, fast zeitgleich zersplitterte die Glasscheibe der ersten Schiebetür. Noch während der Mann durch den Rückschlag leicht rückwärts taumelte, begriff er, dass er zu hoch gezielt hatte, legte neu an und drückte erneut ab.
Die Kugel zischte aus dem Lauf und machte sich mit einer wahnsinnigen Geschwindigkeit auf ihren todbringenden Weg. Zwanzig Meter vor ihr brüllte Lars „Runter!“ und ließ sich fallen, wobei er Alexandra am Arm mitriss. Als die Kugel durch das nicht mehr vorhandene Fenster der ersten Schiebetür raste, befanden Lars und Alexandra sich gerade mitten im Fall, wobei Alexandras Haare langsamer waren als sie selbst und senkrecht in der Luft schwebten.
Die Revolverkugel ließ sich auf ihrem Wege nicht beirren und durchbrach problemlos das letzte Hindernis auf ihrem Weg zu ihrem Ziel. Erst, als die Kugel schon Abstand zu dem Fenster gewonnen hatte, zerbrach es klirrend.
Das Geschoss jagte auf einen schimmernden Teppich aus Haaren zu und durchschlug ihn wie Butter. Gleich darauf schoss es auf Lars Hinterkopf zu, doch er riss ihn im letzten Augenblick herunter, so dass die Kugel nur eine kleine Schneise in seine Haare schlug.
Nach diesem Sekundenbruchteil voller Angst zischte die Kugel davon und blieb mit einem knirschenden Geräusch in der Mitte der Fensterscheibe der Schiebetür am anderen Ende des Abteils hängen. Im selben Moment, als die Körper von Lars und Alexandra auf dem Boden aufschlugen, zerplatzte die Scheibe, so dass die durch die Luft wirbelnden Scherben die Revolverkugel mit in die Tiefe rissen.
Einige Herzschläge lang vernahm Lars nur das Keuchen von sich und Alexandra. Dann sah er über die Schulter und fragte sie flüsternd: „Alles in Ordnung?“
Alexandra war völlig außer Atem und konnte daher als Antwort nur nicken. Lars hielt ihr seine Hand hin und richtete sich halb auf. Sie ergriff seine Hand und nickte dann erneut stumm. Sofort sprangen beide hoch und stürmten weiter.
Unter ihren Füßen knirschten die Glasscherben, als sie sich in einem halsbrecherischen Tempo der Schiebetür näherten. Doch plötzlich rutschte Lars auf einer Scherbe aus und schlidderte genau auf die Tür zu. Er ließ Alexandra los und ruderte hilflos mit den Armen in der Luft, um das Gleichgewicht nicht zu verlieren.
Doch es war unmöglich für ihn zu bremsen. Mit einem lauten Knall, der den Schüssen in nichts nachstand, krachte er gegen die Tür und fiel kopfüber durch die zersplitterte Glasscheibe. Ein dumpfes Poltern zeugte davon, dass er auf der anderen Seite der Tür erneuten Bodenkontakt gefunden hatte.
Alexandra war weitergelaufen und steckte ihren Kopf ängstlich durch die Öffnung. „Ist mit dir alles in Ordnung?“, fragte sie Lars, der sich gerade stöhnend und kopfreibend aufsetzte.
„Ja, bis auf ordentliche Kopfschmerzen glaub ich schon!“, erwiderte er und stand auf. Plötzlich fixierten seine Augen einen Punkt hinter Alexandra. „Alexandra!“, keuchte Lars entsetzt, woraufhin sie erschrocken herumwirbelte. Der Schaffner betrat gerade mit einem irren Grinsen das Abteil, in dem sie sich gerade befand.
Sofort fuhr sie herum und versuchte verzweifelt, die Schiebetür zu öffnen. Doch aus irgend einem unerklärlichen Grunde klemmte sie. Lars stemmte sich von der anderen Seite gegen den Griff, aber auch er blieb ohne Erfolg.
Alexandra warf immer wieder panische Blicke über die Schulter, denn der Mann kam langsam auf sie zu. „Jetzt steckst du aber ganz schön in der Klemme, was?“, höhnte er.
Die Panik war Alexandra mehr als nur anzusehen. Ihre Bewegungen wurden immer hektischer. Ihre Augen waren geweitet und ihr Keuchen gewann immer mehr an Geschwindigkeit und Tonhöhe.
Lars ging es nicht ähnlich, schließlich war Alexandra seine Schwester. Jetzt hatte der Schaffner Alexandra