Der Schwarze Stern
doch war sie nie eine Tyrannin gewesen wie ihr Vater. Das wollte sie nie sein. Dennoch war sie aber deutlich grausamer als ihr Halbbruder, den sie jedoch sehr liebte.
Ebenfalls von Elegost geerbt hatte Meriliel sein Misstrauen und ein gewisses Maß an Zynismus. Doch waren es nicht nur schlechte Eigenschaften, die Meriliel von ihrem Vater übernommen hatte, es gab durchaus auch viele Gute. Sie war fleißig, tapfer, bescheiden und ambitioniert. Beschäftigten sich andere Frauen ihres Standes vor allem mit ihrer eigenen Eitelkeit und ihrem Wohlergehen, war Meriliel ein derartiges Verhalten vollkommen fremd. Sie trug lieber ihre Rüstung als ein schönes Kleid. Lieber schlief sie unter freiem Himmel im Schlamm als im Schloss ihres Vaters. Während andere Prinzessinnen bei einem schönen Bankett in feiner Gesellschaft speisten, verbrachte Meriliel lieber ihre Zeit mit ihren Männern, aß Spanferkel und trank Bier.
Meriliel hatte aber auch Verhaltensweisen entwickelt, die sie von ihrem Vater unterschieden. Sie war sehr wissensdurstig und neugierig. Auch Elegosts Jähzorn und dessen Rassenwahn hatte sie nicht geerbt. Denn während König Elegost in den Bergmenschen Halbaffen und Untermenschen sah, empfand Meriliel sie lediglich als Untertanen, die sich gegen ihre rechtmäßigen Herrscher auflehnten und daher bekämpft werden mussten. Obwohl sie keine Dúnedain waren, empfand Meriliel sie als gleichwertig, was ihr bei ihrem Vater nur Spott einbrachte. Als er erfahren hatte, dass sie deren Sprache erlernt hatte, ließ er sie deswegen auspeitschen.
Auch jetzt war Meriliel bei einer Mission draußen auf dem Land. Sie trug ihre dunkelrote Rüstung mit goldenen Verzierungen und dem Wappen des Königreichs von Rhudaur auf der Brust. Ähnlich gepanzert war ihr Schlachtross, Streiter. Sie führte gerade ihr Kavallerie-Regiment zu einem Gebiet, in dem sich der rebellische Clan-Chef Bhaltair aufhalten sollte. Sie waren nun den zweiten Tag draußen und rückten gerade ans nächste Dorf heran. Als Heerführerin ritt sie voran, die Kompanie folgte ihr. Sie ritten einmal um das Dorf herum, so dass sie es aus allen Winkeln einmal sehen konnte. Sie sah, wie die Menschen panisch nach draußen eilten, zusammenrückten und sie misstrauisch beäugten.
Meriliel hob den Arm, was für ihre Männer der Befehl zum Anhalten war. Sie ließ Streiter etwa zehn Meter von dem Dorf entfernt anhalten, auch ihre Männer hielten und machten ihre Waffen bereit. Denn sie konnten nie wissen, ob die Dorfbewohner nicht bewaffnet waren und sie angreifen würden. Meriliel deutete zweien ihren Männern an, ihr zu folgen, was diese auch taten. Ernst blickte Meriliel die Menschen an.
„Wer ist der Dorfälteste hier?“, fragte Meriliel barsch. Fast panisch zeigten die Menschen zu einem Mann in ihrer Mitte, der etwas besser gekleidet war als die anderen. Seine Kleidung bestand ganz aus Pelzen, während seine Leute größtenteils in Lumpen gehüllt waren.
„Ich bin der Älteste unseres Dorfes. Keallach, Sohn von Kagan, was ich kann für Euch tun Herrin?“, fragte der Mann mit ausdruckslosen Gesichtsausdruck in sauberem númenórisch. Die meisten Bergmenschen beherrschten die Sprache Númenórs, doch meist hatten sie einen starken Akzent, so auch bei Keallach. Beinahe mürrisch blickte er Meriliel an.
„Wir haben gehört, dass sich Bhaltair der Brigant hier in dieser Gegend aufhalten soll.“, antwortete Meriliel und schaute sich aufmerksam die Gesichtszüge aller anwesenden an. Kaum merklich hoben einige die Augenbrauen, als sie den Namen Bhaltair erwähnt hatte.
„Aber Herrin, im Westen ist die Festung von Krieger aus Arthedain und im Süden zweite Festung von Ihnen. Bhaltair ist sicher nicht hier.“, sagte der Mann und schien nicht erfreut über die Frage. Meriliel schaute sich erneut die Gesichter der Leute an, erst jetzt fiel ihr etwas auf.
„Dorfältester, wieso sind in ihrem Dorf so wenig junge Leute? Insbesondere junge Männer habt Ihr nicht viele.“
Den Dorfältesten schien die Frage doch zu erschrecken und auch die Leute flüsterten wieder.
„Viele Männer gestorben. Krieg zwischen Clans…“, sagte der Älteste. Meriliel schaute ihn lächelnd an, seine Stimme war erhöht und er atmete schneller. Der Mann war nervös geworden. Dann rief sie laut:
„Männer, das Dorf wird durchsucht!“
Minuten später wurde das ganze Dorf auf den Kopf gestellt. Alle Hütten wurden durchsucht, was nicht lange dauerte. Denn die Hütten der Bergmenschen waren sehr primitiv aus Holz und Stein errichtet um Schutz vor dem Wetter zu bieten. Aber sie waren nicht groß, meistens bestanden die Hütten nur aus einem einzigen Raum. Die Menschen sind unterdessen alle aus dem Dorf auf eine Wiese gebracht worden und standen unter Bewachung, während das Dorf durchsucht wurde. Auch Meriliel beteiligte sich daran an der Durchsuchung. Sie hatte soeben die Hütte des Clan-Chefs durchsucht, es war nichts zu finden gewesen. Dann ging sie in die nächste Hütte. Meriliel schob den Vorhang beiseite und erschrak für einen Moment. Eine alte Frau saß am Boden und blickte aus einem leeren Blick auf sie hoch.
„Ihr müsst die Weise Frau sein?“, fragte Meriliel und seufzte. Sie war genervt, weil nicht alle draußen waren. Die Weise Frau war etwas wie eine Schamanin bei den Stämmen der Bergmenschen. Sie besaß Heilkünste und machte Weissagungen.
„Willkommen Prinzessin Meriliel.“, sagte die alte Frau leise in Blarm, der Sprache der Bergmenschen. Meriliel erschrak. Sie hatte niemandem aus dem Dorf ihren Namen gesagt. Woher wusste die alte Frau dies also?
„Woher wisst Ihr wer ich bin?“, fragte sie, ebenfalls in Blarm.
„Der Strahlende hat euch mir angekündigt. Er sagte Ihr würdet kommen.“, antwortete die Frau ruhig. Verunsichert dachte Meriliel nach, was sie tun sollte. Es war eine alte Frau, sie stellte keine Bedrohung da. Ebenso glaubte sie nicht, dass die Frau in dieser winzigen Schamanenhütte irgendetwas verbarg. Doch die Frau sprach weiter.
„Er sagte mir noch mehr über Euch.“
Meriliel lächelte. Sie glaubte an Magie, mehr noch. Sie hatte als Kind geträumt Magie zu studieren, wofür sie jedoch von ihrem Vater stets verprügelt worden war. Doch woran sie nicht glaubte, war Aberglaube. An die Weissagungen der Weisen Frauen der Bergmenschen hatte sie nie geglaubt, auch jetzt nicht. Ebenso wenig glaubte sie an die ganzen Kulte und Götter, an die die Bergmenschen glaubten, obwohl sie von einem Strahlenden noch nie was gehört hatte. Sie war sich sicher, dass die Frau gewusst hat, wer sie war. Doch Meriliel würde das Spiel noch mitspielen.
„Ach und was sagt er?“, fragte sie und grinste die Frau amüsiert an.
„Angst habt ihr. Die Angst davor alles zu verlieren. Euren Status als Prinzessin, als Thronfolgerin. Ihr habt Angst bedeutungslos zu werden, weil Euer Vater dabei ist, seine Krone zu verschenken.“
Meriliel erschrak.
„Das…“
„Und der Strahlende sagte mir, dass Ihr…“
Gerade wollte die Frau weiter reden, da stürmte einer ihrer Reiter in die Hütte.
„Herrin, einer der Männer möchte mit Euch reden. Er sagt, es sei dringend.“
Meriliel merkte erst jetzt, dass sie schwitzte und keuchte, als sei sie gerannt.
„Ich komme gleich.“, antwortete Meriliel dem Mann und wandte sich wieder der alten Frau zu, die sie immer noch nichtssagend und mit leerem Blick anstarrte, als sei sie in Trance. Meriliel wollte noch mehr von ihr erfahren, doch nun sagte sie nichts mehr. Sie starrte nur noch in die Leere. Verunsichert lief Meriliel daraufhin aus der Hütte.
Einige von Meriliels Ritter hatten sich vor einer der Hütten versammelt. In deren Mitte war eine Familie. Deren Hände waren gefesselt und sie mussten alle auf dem Boden knien. Ein Mann, eine Frau, zwei Jungen und ein Mädchen. Die übrigen Dorfbewohner waren in der Mitte des Dorfes und wurden von den übrigen Rittern mit gezogenen Schwertern überwacht. Besorgt schauten sie zur Familie hinüber als Meriliel entschlossen zur Familie marschierte.
„Was ist hier los?“, fragte sie einen der Ritter.
„Herrin, in der Hütte dieser Familie wurde dieses Schwert gefunden.“, sagte er und zeigte auf ein Schwert, das vor der Hütte in den Boden gestoßen worden war. Meriliel ging zu dem Schwert und zog es aus dem Boden. Sorgsam begutachtete sie das Schwert. Es war das Schwert eines Ritters von Rhudaur. Meriliel schluckte und ging dann entschlossen zu der Familie. Sie schaute jedem in die Augen. Der Vater wirkte besorgt. Die Mutter und das Mädchen hatten beinahe Panik, während sie zu Meriliel hochblickten. Die Jungen jedoch starrten Meriliel wütend an.
„Woher habt ihr das Schwert?“, fragte Meriliel ernst.
„Auf der Jagd war ich. Da ich fand das Schwert im Wald.“, erklärte der Familienvater besorgt.
Meriliel wandte sich einem der Ritter zu.
„Holt mir den Dorfältesten.“
„Verstanden Herrin.“
Sogleich marschierte der Mann entschlossen zum Dorfältesten, der mit den übrigen Dorfbewohnern in der Mitte des Dorfes war. Ohne ein Wort packte er den Mann am Arm, zerrte ihn zu Meriliel und warf ihn vor ihre Füße.
„Dorfältester Keallach. Wir haben dieses Schwert in der Hütte dieses Mannes entdeckt. Woher hat die Familie das Schwert?“, fragte sie ernst und richtete das Schwert dem Dorfältesten unter das Kinn. Nervös mit weit aufgerissenem Mund starrte er sie an. Der ältere Junge, der angestrengt zu Boden blickte sagte in deren Sprache:
„Im Wald gefunden.“
Meriliel grinste, denn offensichtlich rechneten die Dorfbewohner nicht damit, dass sie Blarm verstand. Der Ritter, der den Dorfältesten geholt hatte, trat den Jungen gegen den Kopf.
„Wenn die Heerführerin spricht, hast du zu schweigen!“, schrie der Mann. Der Junge weinte daraufhin bitterlich und blieb am Boden liegen.
„Äh… sie… sie haben es gefunden.“, sagte der Dorfälteste nervös.
„Wo?“
„Im Wald.“
Meriliel grinste und