Fanfic: Vegeta KT
Toha, wie sie leibt und lebt.
Nachdem Ay den unerwarteten Besuch endlich vollständig realisiert hatte, begann er auf der Stelle mit einem kleinen Kreuzverhör.
„Was willst du, warum bist du hier, wie spät ist es?“, fragte er ohne Unterbrechung.
„Ich will dich ausspionieren, das zweite erübrigt sich jetzt wohl und wir haben es kurz vor sieben Uhr abends“, antwortete sie mit solch einer übertriebenen Höflichkeit, dass Ay das dringende Bedürfnis hatte, sich auf der Stelle zu übergeben. Bei dem Wort ´ausspionieren` horchte er auf.
„Du willst mich also ausspionieren, ja? Warum? Hab ich irgendetwas in deinen Augen Unschickliches getan?“ Er setzte eine Schulmädchengleiche Miene auf. „Hab ich dir etwa deinen Radiergummi nicht wiedergegeben?“ Ein schüchterner Augenaufschlag folgte. Toha zeigte sich weitestgehend unberührt.
„Ja, meinen Ratzel hätte ich auch ganz gerne wieder und dann würde mich noch interessieren, wo deine Eltern sind.“
All die Ironie, der ganze Sarkasmus, den Ay bis dahin ausgestrahlt hatte, verschwanden urplötzlich.
„Was willst du von ihnen?“, fragte er tonlos.
„Du lebst hier auf einer Baustelle. So weit ich das beurteilen kann allein. Und es gibt dummerweise ein Gesetz, das solch einen Lebensstil ausdrücklich verbietet. Ich kann dich nicht ausstehen und um jetzt mal Klartext zu sprechen: Entweder, du sagst mir auf der Stelle wo deine Eltern sind oder beorderst sie nach Hause oder ich werde dich anzeigen.“
Eine langgezogene unangenehme Stille folgte. Ay sah sie nicht an. Er versuchte wie schon so oft, sich einfach zu erinnern – an seine Eltern. Wenigstens ein winziges Detail. Die Haarfarbe, die Augenfarbe, die Stimme, irgendetwas. Ihm kam ein anderer Gedanke.
„Mit wem lebst du denn so in den Yannors?“
Toha grinste ihn keck an. Wie durch ein Wunder zauberte sie einen weißen, leicht zerknitterten Umschlag aus einer der unzähligen Taschen ihrer schwarzen Lederjacke.
„Ich lebe hier. Bin heute eingezogen. Und das hier“, sie wedelte leichthin mit dem Briefumschlag vor seiner Nase herum, „Ist die Einverständniserklärung meiner Eltern, nach dem BGB §187, Absatz 3c ... Irgendwelche Einsprüche?“
Ay klappte der Unterkiefer herunter. Dieses ... dieses Weibsstück wohnte ... HIER?!
Mit weit aufgerissenen Augen zeigte er auf die offene Tür, auf den Boden, an die Decke, so ziemlich überall hin, nur nicht direkt auf sie.
„Du wohnst hier? In der CC?“
Toha legte den Kopf schief.
„CC?“, fragte sie irritiert.
Ay wurde rot – das mit der CC wollte er eigentlich für sich behalten. Tja ... eigentlich. Statt auf Toha’s Frage zu antworten, hakte er noch einmal knurrend nach: „Wohnst du in diesem Haus oder nicht?“
Toha zeigte nach unten und nickte. „Da unten – im Esszimmer. Und bevor du jetzt wieder mit deinem süßen Frage-Antwort-Spielchen anfängst – wo sind deine Eltern?“ Ein hartnäckiges Weib, stellte Ay fest. Er tappte zum Telefon. Leichtfertig nahm er den Hörer ab, wählt eine x-beliebige Nummer und hoffte dabei inständig, dass Toha keinen blassen Schimmer vom erbärmlichen Zustand des Gebäudes und dessen Versorgung hatte. Mal sehen, mit ein bisschen Glück wusste sie vielleicht nicht, dass sämtliche Leitungen tot und das Wasser abgestellt waren.
„Hallo Paps? Ja, hier ist Ay. Wann kommst du nach Hause? 20 Minuten? Gut ... ich mach Abendbrot. Bis dann.“ Er legte den Hörer wieder auf. Innerlich grinsend schielte er zu Toha. Eine schauspielerische Gabe konnte mit unter extrem praktisch sein. Zum Beispiel, wenn eine nervende Klassenkameradin nach nicht vorhandenen Eltern Ausschau hält.
„So, du hast es gehört. 20 Minuten. Würdest du jetzt bitte gehen?“ Er funkelte Toha an. Sie funkelte zurück und tat das, was Ay an ihr am allerwenigsten ausstehen konnte – sie grinste.
„Nö“, sagte sie sachlich. „ich bleib die 20 Minuten hier. So lange ist das ja nicht.“
„Warum willst du hier bleiben? Hier gibt es nichts zu sehen – abgesehen von Staub und Schrott vielleicht.“
„Na ja ... wenn es hier nichts zu sehen gibt, dürfte es dir doch nichts ausmachen, wenn ich hier bleibe, oder?“
Ay antwortete nicht sofort. Toha war gerade dabei seinen Katastrophen-Plan über den Haufen zu werfen und er konnte sie nicht einfach rausschmeißen, denn das würde ihren „Verdacht“ wahrscheinlich nur noch erhärten. Besser ausgedrückt – er KONNTE sie schon rausschmeißen, die Frage war bloß, ob er es auch tun würde. Wie er es auch drehte und wendete – etwas besseres als die übliche Verkleidungsnummer fiel ihm nicht ein. Im Normalfall, der Toha nun mal nicht beinhaltete, schickte er die Ungläubigen nach Hause, bat sie in einer Stunde wieder zu kommen, kramte in der Zwischenzeit alles mögliche aus Schränken und Truhen und verkleidete sich letztendlich. Wenn das Opfer nun wieder auftauchte, gab er sich als Mr. Inkognito aus, erzählte, dass Ay plötzlich verschwunden wäre und er selbst schon seit einer halben Stunde auf seinen Sohn wartete. So lief das für gewöhnlich ab. Nur war Toha – wie bereits erwähnt – nicht gewöhnlich. Und so versuchte Ay verzweifelt die kleine Nervensäge aus seiner Wohnung zu vertreiben, um seinen Plan in die Tat um zusetzten und vergaß darüber die Zeit.
„Ay, es ist halb acht. Vor 10 Minuten hätte dein Vater da sein müssen.“
„Berufsverkehr“, gab Ay mürrisch zurück. Es müsste ein Wunder geschehen, um ihn jetzt zu retten. („Hat hier einer was von einem Wunder gesagt? Dann sagt alle JAAA!“ „Uahh!“ ^-^)
Und es geschah ein Wunder.
Alles begann mit dem Knarren einer Tür, dem verräterischen Quietschen der Dielen im Flur, ausgelöst durch den Tritt fremder Füße und einem herzhaften Gähnen, das wohl selbst einem Flusspferd ohne große Probleme den Rang abgelaufen hätte. Toha’s Braue wanderte vielsagend in die Höhe, während Ay jeden einzelnen Muskel anspannte. Ein Unbekannter – in seiner Wohnung! Einen größeren Frevel konnte es nicht geben – nun ja, abgesehen vielleicht von der Tatsache Toha. Irgendwo landete etwas unsanft auf dem Boden, Glas splitterte. Es folgte ein enthusiastischer Fluch, der so gut wie alle Politiker, einige prähistorische Tierarten, die Intelligenz eines Bandwurmes und einige Schweinefestmahle beinhaltete. Ay war schwer beeindruckt. Wer auch immer dort sein Unwesen trieb – derjenige hatte außerordentliches Talent.
Und dann – doch schon nach ganzen zwei Minuten – tauchte er in der kleinen Stube auf. Einen schmollenden Gesichtsausdruck aufgesetzt, die Haare in einer beinahe unchristlichen Art und Weise nach oben gestylt und über der Schulter einen mit blauen Mustern bestickten Seesack. Gekleidet in einen ledernen schwarzen Mantel, der wohl eher aus Flicken als aus Stoff bestand, schwarzen Schaftstiefeln, einem dunklen Oberteil und einer verhältnismäßig hellen Hose passte er genau in Toha’s gängiges Bild der Yannors. Der Kerl ließ sich erneut gähnend auf einem der altersschwachen Stühle nieder, trommelte mit den Fingern auf dem staubbedeckten Tisch herum und hielt den Blick unverwandt auf Ay geheftet. Diese unergründlichen schwarzen Augen schienen etwas sagen zu wollen – eine verschlüsselte Botschaft. Nach einer Weile öffnete der Unbekannte Man in Black endlich den Mund. Er sprach mit einer tiefen und dennoch außergewöhnlich klaren, rauchfreien Stimme. Ay musste sich stark zusammen nehmen, um den Sinn seiner Worte zu verstehen.
„Liebster Sohn. Bitte erkläre mir Folgendes: Ich sollte binnen 20 Minuten zu hause sein. Da bin ich.“ Der Blick der schwarzen Augen wurde eindringlicher. Ein sarkastischer Unterton schwang in seiner Stimme mit. „Und wo ist jetzt mein Abendbrot?!“
Ay’s „Vater“ lehnte sich zurück. Toha biss sich auf die Lippe, um jetzt kein unerwünschtes Kommentar abzugeben – allerdings ... wenn sie jetzt eine Lehrerin gewesen wäre, hätte sie ihm wohl eine knallharte Verwarnung aufgehalst. Man kippelte nicht. Weder in der Schule noch sonst irgendwo. Und wie in allen anderen Dingen auch, so sollte man auch beim Kippeln auf die Anwendung verzichten, wenn weder Talent noch Interesse vorhanden waren. Denn keines der beiden besaß der Fremde Kerl auch nur ansatzweise.
<3 – 2 – 1 ...> zählte sie in Gedanken an. Der Stuhl neigte sich gefährlich nach hinten. Der Fremde auf dem gefährdeten Objekt hatte gelangweilt die Arme verschränkt, saß in einer lässigen Art – die ihn in manchen Stellen wie Ay erschienen ließ – auf dem eigenwilligen Teil, die Füße auf dem Tisch und achtete augenscheinlich weder auf Gleichgewicht noch auf sonstige Geräusche, die Stuhl oder Tisch von sich gaben. Es kam wie es kommen musste und wie Toha es vorausgesehen hatte. Mit einem lauten Krachen kippte das verdammte Ding hinten über; der so lang vermisste Vater fand sich alle viere von sich gestreckt auf dem Boden wieder.
<Ja, ja ... wenn man kippeln könnte ...> Toha grinste. Der Kerl war ihr auf eigenwillige Weise sympathisch und irgendwo auch seltsam vertraut.
Der schmollend-genervte Ausdruck hatte sich wieder die Oberhand auf seinem Gesicht erkämpft, als sein Blick zum ersten mal auf Toha fiel. Bis jetzt nur auf seinen Sohn Ay konzentriert, hatte er die Kleine schlichtergreifend übersehen. Er musterte sie. Kritisch. Sehr kritisch. So kritisch, dass Toha ihm liebend gern einen Teil aus seinem meisterhaften Fluch rezitiert hätte. Aber es gab ja so etwas wie Anstandsregeln ...
„Deine Freundin?“, fragte er schließlich gerade heraus, während sein Blick zurück zu Ay wanderte. Toha und der kleine Meisterdieb sahen sich einen Moment lang an. Eine kurze, beklemmend wirkende Stille folgte.