Fanfic: Berührungen ½ [4] --- RANMA ---

musste sie immer öfter an ein Gespräch mit ihrer Mutter denken. Es war nur kurze Zeit vor ihrem Tod, als ihre Mutter Akane weinend in ihrem Kleiderschrank versteckt gefunden hatte:



„Oka-san, ich hab’s kaputt gemacht“ schluchzte Akane aufgeregt und vergrub ihr Gesicht in den Händen. „Ich wollte doch nur mal gucken, ob es hübsch ist, wenn auf deinem alten

Hochzeitskleid rote Herzen sind. Ich wusste nicht, dass die Filzstifte so...“



„Pssshhhh....“ Ihre Mutter unterbrach sie und nahm sie zärtlich in ihre Arme, um ihre Tränen zu trocknen. „Aber das ist doch nicht schlimm, meine süße Akane-chan. Du hast es schließlich nicht böse gemeint. Alles was du tun wolltest, war Oto-san und mich mit einem noch schöneren Kleid überraschen, nicht wahr?“



Die kleine Akane nickte.



„Na siehst du“, fuhr die Mutter in einem ruhigen, tröstenden Ton fort. „Weißt du, das Wichtigste im Leben sind die Menschen um dich herum, die dich lieben; deine Familie und Freunde. Ich habe das Kleid sehr sehr gerne gehabt. Aber dich habe ich noch viel lieber.“ Sie machte eine kurze Pause und erhaschte von ihrer jüngsten Tochter ein kleines Lächeln. „Menschen machen nun mal hin und wieder Fehler. Sie sind nie perfekt. Ich bin es nicht, du bist es nicht.“



„Und Nabiki?“ fragte Akane neugierig mit großen, aufgeweckten Augen.



Ihre Mutter strich ihr eine Strähne aus dem Gesicht und lachte leicht. „Nein, auch nicht Nabiki. Ebenso wenig Kasumi und Oto-san. Aber trotzdem haben wir uns alle ganz doll lieb, nicht wahr?“



Akane nickte erneut und strahlte.



„Meine kleine Akane-chan, wenn du einmal groß bist, hoffe ich, du wirst eine starke, wie auch gütige Persönlichkeit. Sei stark, wenn es am schwierigsten scheint, gütig zu sein und verzeih den Menschen, dass sie Menschen sind und hin und wieder Fehler machen. Ganz besonders, wenn sie es nicht böse meinten.“



~~



Akane brannte das Herz, als sie ein weiteres Mal an diese Worte zurückdachte, während sie stumm neben Ryoga die dunklen Straßen Nerimas entlangging. Ihre Mutter fehlte ihr so sehr. Nun hatte sie gelernt, für niemanden auf längere Dauer einen Gräuel zu hegen. Aber wozu ihre Mutter nicht mehr kommen konnte, war, ihr zu erklären, was Liebe bedeutet. Wäre es für sie in Ordnung gewesen, dass Akane ohne ihre Einwilligung mit einem ungehobelten, unsensiblen Fremden verlobt wurde? Hätte sie es normal gefunden, dass Akane plötzlich den Wunsch verspürt hatte, von ihm gehalten zu werden? Wenn Ranma davon wüsste, dachte sie sich mit einem Klos im Hals, würde er sie verspotten ohne Ende. Er würde sie auslachen und nie wieder aufhören. Schließlich hatte er keinen Grund gehabt, sie anzurühren. Wenn sie über Dinge, wie diese grübelte, fragte sie sich ernsthaft, ob nicht sie die Perverse war, anstatt Ranma. Er hatte bestimmt nie ähnliche Bedürfnisse verspürt. Was hätte ihr ihre Mutter bloß in dieser ganzen seltsamen Situation geraten?



Akane seufzte schwer. „Es tut mir leid, dass ich deinem Beispiel nicht ganz so gut folgen kann. Ich versuche ein normales Mädchen zu sein, habe aber diese Träume. Ich bemühe mich, Ryoga zu vergeben – was ich eigentlich auch tat – kann aber vieles nicht vergessen... Ich habe das Gefühl, mein ganzes Leben gerät komplett außer Kontrolle.“



Ihre Unsicherheit machte es ihr unmöglich, mit Ryoga über wirklich alles zu sprechen, was ihr auf dem Herzen lag. So sehr sie ihn als Freund schätze, wusste sie, dass es seine Zeit brauchen würde, bis sie ihm wieder vertrauen könnte. So wuchs eine Freundschaft heran, die für beide von sehr großer Bedeutung war, jedoch stets auf eine gewisse Weise ein wenig distanziert blieb.



In dem Glauben, niemand außer ihr wüsste von seinem Fluch, hatte Akane damals beschlossen, die Ereignisse jenen Tages am See für sich zu behalten. Ryoga machte nie Anstalten, sie umzustimmen. Schließlich bedeutete ihr Schweigen auch gleichzeitig, dass keiner je von seinem Liebesgeständnis erfahren würde. Dieser Gedanke beruhigte ihn ungemein, war es doch ein Teil seines Lebens, den er hinter sich lassen wollte, um einen neuen Anfang mit Akane zu wagen.





„Das brauchst du wirklich nicht tun“, sagte Akane schließlich und brach die Stille. Sie deutete auf den Rucksack, den Ryoga ihr trug. „Ich hoffe, er ist nicht zu schwer.“

Ryoga schüttelte lächelnd seinen Kopf. „Mach dir keine Sorgen. Ich habe einiges wieder gut zu machen. Da wird dies hier wohl das Geringste sein.“





Auf ihrem nächtlichen Weg kamen Ryoga und Akane an Dr. Tofus Praxis vorbei. Unbewusst blieb Akane davor stehen. So viele Erinnerungen steckten in diesem Ort. Unvermeidlich zu erwähnen, dass diese sich vervielfacht hatten, nachdem Ranma bei den Tendos eingezogen war. Sie lächelte. „Ranma... du bist wirklich...“ flüsterte sie. Plötzlich wurden ihre Augen ganz schwarz und sie verzog ihr Gesicht. „Du bist wirklich ein Trottel“ rief sie auf einmal lauter als sie eigentlich beabsichtigte. Die Erinnerung der vergangenen Wochen stiegen wieder in ihr auf und mit ihr die unbändige Wut... wenn auch mehr auf sich selbst, als auf Ranma, der genaugenommen nichts für ihre seltsamen Neigungen konnte.



Plötzlich bemerkte sie Ryogas erschrockenen Blick und errötete. „Komm Ryoga-kun, sonst kommen wir noch zu spät!“



Im Eiltempo rannte sie los. Ryoga schaute ihr einen Augenblick lang verdutzt hinter her, nahm dann die Beine in die Hand und folgte ihr auf schnellem Schritt.



Als sie den Bahnhof erreichten, drangen am Horizont bereits die ersten Sonnenstrahlen an den Tag.



***



„Wirst du wirklich zurecht kommen?“ fragte Ryoga noch immer besorgt, als er ihre Tasche in den Zug trug.



„Ganz sicher“ antwortete Akane optimistisch. „Und danke nochmals, dass ich eine Weile in der Hütte bleiben darf.“



„Alles für das Training, nicht wahr?“ Er lachte.



Vor einiger Zeit war Akane so wütend darüber gewesen, wieder von Shampoo besiegt worden zu sein, dass sie Wochen lang wie wild trainiert hatte. Ryoga machte ihr daraufhin das Angebot, für eine Weile in den Bergen zu trainieren. Seitdem er einst das Dorf vor einem riesigen, aggressiven Wildschwein gerettet hatte, luden die Dorfbewohner ihn ein, für immer zu bleiben. Als er jedoch betonte, dass sein Training Priorität hatte und er bis zur Perfektion seiner Kampfkünste ein einsames Leben führen müsse, stellten sie ihm daraufhin großzügig eine Hütte, die sich etwas abgelegen an der Lichtung eines Kiefernwaldes befand, zur Verfügung. Früher hätten dort die Jäger manchmal übernachtet, erzählten sie ihm. Aber zum Dank für seine große Hilfe, sollte er sie nun benutzen können, wann immer er vorbei kommt. Damals lehnte Akane sein Angebot dankend ab. Sie fühlte sich nicht so recht im Stande, ganz alleine fort zu gehen. Und so hatte sie sich für die bequemere Art entschieden und zerschmetterte, wenn ihre Wut anschwoll, einfach ein paar Ziegelsteine. Jetzt aber kam es ihr wie ein Traum vor.



„Frei sein“, dachte sie sich aufatmend. „Endlich... Keine Verkleidungen mehr, keine blöden Ausreden, zu normalen Zeiten essen und ich kann endlich wieder trainieren.“ Sie klatsche vergnügt die Hände. In der letzten Zeit schien Ranma im Dojo regelrecht auf sie gelauert zu haben, sodass sie es nicht wagte, auch nur in die Nähe zu kommen. Und bis auf ein paar Hanteln hatte sie keine weiteren Trainingsutensilien in ihrem Zimmer.



„Und denk bitte dran“, erinnerte ihn Akane noch einmal, als sie sich zu Ryoga aus dem Fenster lehnte. „Sag niemandem, wo ich bin. Erwähne nicht einmal, dass du mich gesehen hast, versprochen?“



„Aber was ist denn so schlimm daran, wenn du doch nur etwas trainieren willst? Deine Familie wird sich sicher Sorgen machen“, fragte er verwirrt. Natürlich hatte Akane ihm nichts von ihren Träumen und deren Effekt auf ihren Gemütszustand erzählt.



„Versprich es bitte einfach.“ Sie sah ihn mit großen, bittenden Augen an.



Ryoga zögerte einen Moment, nickte dann aber. „Wie du meinst.“



Akane sprach weiter: „Hör mal, ich habe eine Nachricht hinterlassen, dass sie sich nicht Sorgen brauchen und es mir gut geht.“ Sie lächelte ihrem Freund aufmunternd zu. Der seufzte. „Wie ich bereits sagte, ich respektiere alle deine Entscheidungen, Akane-san. Du wirst sicher wissen, was du tust.“



Der Zug rollte wenige Momente später los und verließ den Bahnhof. Akane winkte Ryoga hinterher und sprang dann aufgeregt auf ihre Sitzbank zurück. Mit leuchtenden Augen kramte sie eine leicht vergilbte Papierrolle hervor. „Nur gut, dass diese Karte von den Dorfbewohnern gezeichnet wurde und nicht von Ryoga.“ Sie kicherte. „Sonst würde ich den Weg zur Hütte nie finden.“



Die Arme weit spreizend lehnte sie sich zurück und genoss mit geschlossenen Augen die warme Morgensonne auf ihrem Gesicht.



Zumindest für die nächsten zwei Stunden Zugfahrt konnte sie sich nun erstmals seit Wochen wieder richtig entspannen. Kein Ranma mehr um sie herum. Kein Ranma mehr, der ihr folgen würde, der sie mit seinen blauen Augen ansehen oder sie mit seltsamen Gesten an noch seltsamere Träume erinnern würde. Eigentlich war sie glücklich. Aber tief in ihrer Brust tat etwas weh. „Kein Ranma mehr“, sagte sie aufmunternd zu sich selbst. Der Schmerz wurde stärker.





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Anmerkungen der Autorin:



Überrascht? Enttäuscht? Ja, ich weiß, dieser Teil hat es nicht wirklich in
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